Das verlorene Gesicht
Logan. Sie schwieg einen Augenblick. »Mich hat es abgeschreckt.« »Warum?« Zögernd erwiderte sie: »Ich fürchtete, ich könnte dorthin gehören.« »Lächerlich. Nach dem, was Sie durchgemacht hatten, hätte jeder einen Nervenzusammenbruch erlitten.« »Und wie weit ist es von einem Nervenzusammenbruch zum Wahnsinn? Man merkt nie, auf was für einem Hochseil man balanciert, bis man beinahe in den Abgrund stürzt.« »Aber Sie haben sich gewehrt.« »Joe hat mich zurückgerissen.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Und dann habe ich eine Riesenwut bekommen und mich selbst nur noch verachtet. Ich wollte nicht zulassen, dass Fraser mir noch irgendetwas raubte. Nicht mein Leben und nicht meinen Verstand. Ich wollte mich nicht von ihm besiegen lassen.« Sie wandte sich nach Logan um. »Und ich werde mich auch nicht von Timwick oder von Lisa Chadbourne besiegen lassen. Die Frage ist, wie wir verhindern, dass sie alle Welt davon überzeugen, ich sei verrückt.« »Das können wir nicht. Jedenfalls vorerst nicht. Wir sind in der Defensive«, sagte Logan. »Wir dürfen nichts unternehmen, solange wir keine Waffe haben, mit der wir den Angriff wagen können.« Das wusste sie, aber sie hatte gehofft, etwas anderes als die Realität zu hören zu bekommen. »Haben Sie Margaret angerufen?« Er nickte. »Sie ist unterwegs.« »Wo wird sie meine Mutter hinbringen?« »Sie berät sich mit den Sicherheitsleuten, die Ihre Mutter zurzeit bewachen. Sie werden sie irgendwo verstecken und ich habe Margaret gebeten, sich mindestens einen Bewacher mitgeben zu lassen. Haben Sie Ihrer Mutter Bescheid gesagt?« »Ja. Und ich habe mit Joe vereinbart, dass wir ihn morgen in Atlanta treffen.« Sie merkte, wie sein Gesichtsausdruck sich kurz veränderte, und fragte: »Was ist?« »Nichts. Aber es ist vielleicht nicht klug, ihn in die Sache hineinzuziehen. Je weniger Leute –« »Quatsch.« Sie kümmerte sich nicht darum, dass das auch ihr erster Gedanke gewesen war. »Ich vertraue ihm mehr als Ihnen oder Gil.« »Das kann ich verstehen.« Gil stand auf. »Ich kann es kaum erwarten, den interessanten Mr Quinn kennen zu lernen. Ich werde einen Spaziergang machen. Hast du Lust mitzukommen, John?« Logan nickte. »Ich kann ein bisschen frische Luft gebrauchen.« Er ging auf die Tür zu. »Wir sind bald zurück. Behalten Sie die Nachrichten im Auge, ja?« Sie wollten ungestört über die Situation reden. Sie würden die neueren Entwicklungen auswerten und versuchen, eine Offensive zu planen. Sollten sie ruhig. Sie würden noch früh genug merken, dass Eve sich nicht länger von irgendwelchen Entscheidungen ausschließen lassen würde. Andererseits würde sie die beiden vielleicht ausschließen. Morgen würde sie wieder mit Joe zusammen sein. Logan hatte sie benutzt und sie konnte sich nicht darauf verlassen, dass er es nicht wieder tun würde. Aber Joe konnte sie vertrauen. Sie waren schon lange ein Team und gemeinsam konnten sie es mit allen aufnehmen, auch mit Timwick und Lisa Chadbourne. Lisa Chadbourne. War ihr der Name so schnell eingefallen, weil sie sie für den Kopf dieser Verschwörung hielt? Die Zeichen, die sie Detwil gegeben hatte, deuteten auf ihre Mittäterschaft, aber das machte sie noch lange nicht zur Hauptfigur. Aber die Frau, die sie auf den Videos studiert hatte, war nicht der Typ, der sich auf den zweiten Platz verweisen ließ. Sie strahlte Selbstbewusstsein und Charisma aus. Und so wie Gil Timwick beschrieben hatte, wirkte der nicht wie ein Mann, der in der Lage war, so eine Riesensache durchzuziehen. Dazu brauchte man Nerven wie Drahtseile und die Fähigkeit, sehr schnell zu reagieren. Nach Gils Auffassung war Timwick ein Mann, der zusammenbrechen würde, wenn man ihn unter Druck setzte. Falls Lisa Chadbourne die Hauptfigur war, dann täte Eve gut daran, sie genau unter die Lupe zu nehmen. Sie holte ihre Tasche und nahm die Videos heraus, die sie aus dem Barren House mitgenommen hatte. Sie schob eins in den Rekorder und setzte sich auf das Sofa vor dem Fernseher. Lisa Chadbournes lächelndes Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Schön, intelligent und … ja, faszinierend. Eve spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Sie lehnte sich vor und wandte den Blick nicht mehr von Lisa Chadbourne.
»Was machen Sie da?«, fragte Logan, als er zwei Stunden später wieder ins Haus kam. »Lisa Chadbourne?«
Eve schaltete den Videorekorder aus. »Nichts. Ich habe sie nur ein bisschen studiert.« »Ihre Zeichen an
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