Das verlorene Ich
er noch immer nackt.
Die Pose ihres Schicksalsgefährten erinnerte Lilith flüchtig an eine altgriechische Statue. Tatsächlich war er beinahe ebenso bleich, die Haut alabasterfarben. Bräune hätte ihm vermutlich viel von seiner Ausstrahlung genommen. Der blasse Teint hatte auch nicht das Geringste mit Schwäche zu tun. Wie vital Landers war, hatte er Lilith gerade bewiesen.
Hector Landers .
Sie wünschte, sie hätte mehr über die Umstände gewußt, die sie schon einmal ein Paar hatten werden lassen - irgendwann in vergangenen Zeiten.
Daß sie es gewesen waren, darauf deutete inzwischen einiges hin. Auch diese Bilder und Notierungen, die sie in Landers' römischem Domizil gefunden hatten. Neben der Bezeichnung Haus der Hure und der Adresse in Australien tauchten in den handschriftlichen Vermerken auch Namen wie Lilith, Creanna und Sean Lancaster auf.
Von ihrem eigenen Namen abgesehen, konnte Lilith mit keinem der Begriffe etwas anfangen. Dennoch keimte, seit sie diesen Fund gemacht hatten, die Hoffnung in ihr, eine Spur gefunden zu haben, die ihr Aufschluß über ihre Identität geben konnte.
War das Haus auf den Bildern ihr Zuhause?
Ihr eigenes oder das ihrer Eltern? Waren dann dieser Sean Lancaster ihr Vater und Creanna ihre Mutter? Oder standen die beiden in völlig anderer Verbindung zu ihr?
Lilith wußte, daß es nur eine einzige Möglichkeit gab, es herauszufinden: Sie mußte zu dieser Adresse reisen und mit denen, die dort lebten, reden! Vielleicht bedurfte es nur dieses Anstoßes, um die verschüttete Erinnerung zurückkehren zu lassen .
»Bereuen? Wie kommst du darauf?« leugnete sie, daß sie sich tatsächlich in irgendeiner nicht näher zu benennenden Weise beschmutzt fühlte.
Was war los mit ihr?
Sie hatte es gewollt - er hatte nichts getan, um sie zu überreden, und trotzdem .
»Ich dachte nur, weil du es nicht neben mir aushältst.«
Lilith erzitterte. Eine neue, vielleicht noch kältere, noch dunklere Woge rollte auf sie zu. Um sie zu ertränken, der Qual ein Ende zu bereiten. Jener Qual, die im Kloster begonnen hatte - in dem Moment, als sie die Augen aufgeschlagen und . diesen Abgrund in sich erblickt hatte.
Landers hatte ein Wort gewählt, das ihr Dilemma auf den Punkt traf: »aushältst«. Genau das war es, was sie von ihm weg getrieben hatte: Sie hatte ihn nicht mehr ausgehalten, seine Nähe keine Sekunde länger ertragen, nachdem sie sich offenbar zu nahe gekommen waren!
Faszination und Abscheu - Lilith verband plötzlich beides mit der Person Hector Landers, und hatte dabei das verwirrende Gefühl, nicht mit ihm, aber auch nicht ohne ihn sein zu können .
»Unsinn!«
Sie kehrte ihm wieder den Rücken zu, mied seinen Blick.
»Es scheint, als würden sich unsere Wege trennen«, klangen seine Worte in ihr nach. Auch Landers hatte in den Unterlagen gewühlt und war dabei offenbar auf eine Spur gestoßen, die ihm persönlich wichtiger erschien als die Fährte, die nach Sydney führte.
Lilith war sicher, sie hätte ihn nur danach zu fragen brauchen, worauf er aufmerksam geworden war, und er hätte es ihr gesagt. Aber wollte sie es denn wissen? War sie nicht selbst egoistisch und trachtete vorrangig danach, das Rätsel ihrer Herkunft zu lösen?
Er trat hinter sie. Sein Glied preßte sich gegen ihre Pobacken, der Atem, der in ihren Nacken blies, war weder heiß noch kalt, und der Geruch erinnerte an ein Tier.
Sein Hände legten sich um ihre Arme. »Du fühlst dich unwohl, ich spüre es. Sag mir die Wahrheit: Was ist mir dir? Hat es mit mir zu tun? Ging es dir zu schnell, daß wir ...?«
Sie wollte nichts mehr davon hören.
Vorbei.
Hauptsache, vorbei.
»Nein. Was soll das? Es war ... schön. Willst du es unbedingt zerreden?«
Er ließ sie los und trat statt dessen neben sie. Das Bild, das sie immer noch festhielt, nahm er ihr aus den Fingern. »Wenn du willst, begleite ich dich dorthin.«
Sie wollte es nicht!
(Warum nicht? Verlierst du jetzt langsam auch den Verstand?)
Sie haßte die kleine böse Stimme, die sie selbst war. Sie haßte sie, weil sie sich auf sie verlassen konnte .
Kopfschüttelnd sagte sie: »Ich glaube nicht, daß das gut wäre.«
»Warum nicht?«
»Weil du dasselbe Recht hast, dich zu finden, wie umgekehrt ich. Folge deiner Spur, und ich folge der meinen.«
»Aber wir bleiben in Kontakt.«
»Wenn du das willst.«
»Du nicht?«
»Doch.«
Wollte sie?
»Die Reise nach Australien und der Aufenthalt in Sydney werden einiges an Geld verschlingen«,
Weitere Kostenlose Bücher