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Das verlorene Ich

Das verlorene Ich

Titel: Das verlorene Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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wieder. Erst von hier aus konnte er feststellen, daß die Fenster nicht, wie er von draußen geglaubt hatte, blind und dunkel vom Schmutz waren, sondern daß jemand sie verhängt hatte - zum Teil mit schweren Samtvorhängen, andere wieder, wie notdürftig, mit bloßen Tüchern. Das Mobiliar der Halle mochte irgendwann einmal beeindruckend gewesen sein; heute jedoch verbarg sein Wert sich unter Staub. Hier und da lagen Scherben eines zerbrochenen Ziergegenstands auf den zerschlissenen Teppichen.
    Hector Landers widerstand dem Drang, sich umzudrehen und zu verschwinden. In gewisser Weise war er nun doch neugierig auf Madame .
    Der alte Diener war inzwischen am oberen Ende der Treppe angelangt, die rechterhand an der Wand in die erste Etage führte, und seine schleifenden Schritte verklangen. Minuten verstrichen in beklemmender Stille. Dann, endlich, näherte sich aus einem der oberen Flure jemand, schnelleren Schrittes als der Alte, dennoch aber gemessen.
    An der Treppe blieb die schattenhafte Gestalt stehen, ganz abrupt, als sie des Gastes ansichtig wurde. Ihr weites Gewand umwehte sie noch für eine oder zwei Sekunden wie von einem Wind aus dem Nichts bewegt.
    Hector Landers vermochte die Person dort oben trotz des schummrigen Lichtes auch über die Distanz hinweg zu erkennen. Irgendwann mußte diese Frau einmal sehr hübsch gewesen sein, obgleich sie ihm - wie schon die Menschen draußen - nicht wirklich alt vorkam; eher wie vor ihrer Zeit gealtert. Ihr schmales Gesicht war blaß, die Augen wirkten dadurch dunkler, als sie es tatsächlich sein mochten. Ihr Körper schien ihm welk, ihre einst üppigen Formen indes waren noch immer zu erahnen.
    Als hielte die Zeit den Atem an, blieb die Frau dort oben stehen. Und dann, von einer Sekunde zur nächsten, stürzte sie förmlich die Treppe herab und auf Hector Landers zu!
    »Du bist es!« rief sie mit schriller, mißtönender Stimme. »Du bist tatsächlich zurückgekehrt -«
    Sie warf sich ihm an die Brust, so heftig, wie er es ihrer verbrauchten Statur nie zugetraut hätte.
    »- Meister!«
    Sie hob Landers ihr Gesicht entgegen.
    Drängte ihm ihre trockene, nach Grab und Tod schmeckende Zunge zum gierigen Kuß in den Mund!
    Und nadelspitze Zähne verletzten seine Lippen.
    *
    Hector Landers stieß die merkwürdige Alte von sich, so heftig, daß ihre Füße sich im Saum ihres Gewandes verfingen und sie stürzte. Er machte keinerlei Anstalten, ihren Fall zu verhindern oder ihr dann aufzuhelfen. Angewidert wischte er sich über die Lippen, versuchte die Spuren seines schwarzen Blutes zu ignorieren (Freak!
    schrie es trotzdem in ihm) und spuckte aus, ohne den widerwärtigen Geschmack ihres Kusses damit jedoch loszuwerden.
    Die Frau (Simone?) lag drei Schritte entfernt auf dem Boden, stützte sich auf Händen halb hoch und sah Landers von unten herauf an. Nicht die Spur wütend, daß er sie hingestoßen hatte, sondern nur verwirrt - und mit einer Ergebenheit, die ihn an die eines Hundes erinnerte. Als erniedrigte sie sich vor ihm.
    »Meister ...?« kam es fast tonlos von ihren spröden Lippen. Ihre Augzähne lugten, winzigen Elfenbeinhauern gleich, unter der oberen Lippe hervor.
    Landers starrte die Frau schweigend an.
    War sie - eine Vampirin? Gab es diese Geschöpfe der Nacht, wie sie in Hunderten von Romanen und kaum weniger Filmen eine Rolle spielten, tatsächlich?
    Nun, vieles von dem, was er seit seinem Erwachen selbst erlebt hatte, deutete darauf hin, daß diese Welt nicht frei von dunklen, unwirklichen Geheimnissen war. Aber trotzdem er hier einen weiteren Beweis für dieses Faktum vor Augen zu haben schien, wollte er nicht recht daran glauben. Weil es den Versuch, seinen eigenen Platz in dieser Welt zu finden, nur noch mehr erschwerte.
    »Wer sind Sie?« fragte er dann. »Simone?«
    Sie nickte, zögernd und offensichtlich ohne jedes Verständnis für seine Frage.
    »Aber Meister -«, begann sie.
    »Was soll dieses Gerede?« fuhr er sie an.
    »Hast du denn alles vergessen? Weißt du nicht mehr, was war -mit uns?« Mühsam kam sie erst auf die Knie hoch, dann richtete sie sich stöhnend weiter auf.
    Im ersten Moment wollte Hector Landers ihre Fragen fast automatisch bejahen. Gerade noch besann er sich eines anderen. Aus irgendeinem Grund schien es ihm plötzlich angeraten, nicht preiszugeben, daß er die Erinnerung verloren hatte. Fürs erste genügte es ihm, jemanden (was diese Simone auch immer für eine Person sein mochte) gefunden zu haben, der ihn zweifellos kannte.

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