Das Verlorene Labyrinth
Füllfederhalter und Tinte geneckt, und wegen des Papiers, das so dick und schwer war wie Pergament. Er hatte nur gelächelt und gesagt, er sei zu alt, um noch lieb gewonnene Angewohnheiten zu ändern.
Jetzt, so staunte er, jetzt war eine Veränderung unausweichlich. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, dachte an Jeanne und daran, wie wichtig ihm ihre Freundschaft war. In jeder Phase seines Lebens hatte er gute Männer und Frauen gefunden, die ihm halfen, doch Jeanne war etwas Besonderes. Über Jeanne hatte er Grace Tanner gefunden, und das, obwohl die beiden Frauen einander nie begegnet waren.
Der Klang von klappernden Töpfen in der Küche riss ihn wieder zurück in die Gegenwart. Baillard nahm seinen Stift und spürte, wie die Jahre von ihm abfielen, ein plötzliches Verschwinden von Alter und Erfahrung. Er fühlte sich wieder jung.
Mit einem Mal fielen ihm die Worte nur so zu, und er begann zu schreiben. Der Brief war kurz und sachlich. Als er fertig war, drückte Audric Baillard Löschpapier auf die glänzende Tinte und faltete dann das Blatt zweimal ordentlich, um es in einen Umschlag zu stecken. Sobald er ihre Adresse hatte, konnte der Brief abgeschickt werden.
Dann lag es in ihren Händen. Nur sie konnte die Entscheidung treffen. »Si es atal es atal.« Es kommt so, wie es kommen wird.
Das Telefon klingelte. Baillard öffnete die Augen. Er hörte, wie Jeanne sich meldete, dann einen lauten Aufschrei. Zuerst dachte er, der Schrei käme von draußen auf der Straße. Doch dann hörte er, wie der Hörer auf den gefliesten Boden fiel.
Er merkte, dass er automatisch aufgestanden war, spürte eine Veränderung in der Atmosphäre. Er wandte sich um, als er Jeannes Schritte die Treppe heraufkommen hörte.
»Qu'es?«, fragte er sofort. Was ist los? »Jeanne«, sagte er drängender. »Was ist passiert? Wer hat da eben angerufen?«
Sie sah ihn ausdruckslos an. »Es geht um Yves. Er hatte einen Unfall.«
Audrics Augen weiteten sich entsetzt. »Quora?« Wann? »Gestern Abend. Unfall mit Fahrerflucht. Sie haben eben erst Claudette erreicht. Sie war das am Telefon.«
»Ist er schwer verletzt?«
Jeanne schien ihn gar nicht zu hören. »Sie schicken jemanden, der mich zum Krankenhaus in Foix bringt.«
»Wen? Hat Claudette das organisiert?«
Jeanne schüttelte den Kopf. »Die Polizei.«
»Möchtest du, dass ich mitkomme?«
»Ja«, sagte sie nach kurzem Zögern, dann ging sie wie eine Schlafwandlerin aus dem Zimmer und über den Flur. Einen Moment später hörte Baillard die Tür von ihrem Zimmer zufallen. Ohnmächtig, entsetzt über die Nachricht, sah er sich im Zimmer um. Er wusste, dass der Zeitpunkt kein Zufall war. Seine Augen verweilten auf dem Brief, den er geschrieben hatte. Er machte einen Schritt darauf zu, wollte einen Moment lang den Ablauf der Ereignisse aufhalten, solange noch Zeit war.
Doch dann ließ Baillard seine Hand sinken. Wenn er den Brief verbrannte, wäre alles vergeblich gewesen, wofür er gekämpft hatte, alles, was er durchlitten hatte.
Er musste den Weg zu Ende gehen.
Baillard fiel auf die Knie und fing an zu beten. Die alten Worte waren zunächst ungewohnt für seine Zunge, doch schon bald strömten sie leicht dahin, verbanden ihn mit all jenen, die diese Worte vor ihm gesprochen hatten.
Eine Autohupe gellte draußen auf der Straße und riss ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er fühlte sich steif und müde, als er mühsam wieder aufstand. Er schob den Brief in die Brusttasche seines Hemdes, nahm sein Jackett vom Türhaken und ging dann zu Jeanne, um ihr zu sagen, dass der Wagen wartete.
Authié stellte seinen Wagen auf einem der großen und anonymen öffentlichen Parkplätze gegenüber der Porte Narbonnaise ab. Scharen von Ausländern, mit Reiseführern und Kameras bewaffnet, waren überall unterwegs. Er verachtete das alles, die Ausbeutung der Geschichte und die gedankenlose Kommerzialisierung seiner Vergangenheit zum Vergnügen von Japanern, Amerikanern, Engländern. Er verabscheute die restaurierten Mauern und die unechten, grau geschieferten Türme, die Geschenkverpackung einer erfundenen Vergangenheit für die Dummen und Ungläubigen.
Braissart wartete bereits wie vereinbart und erstattete ihm rasch Bericht. Das Haus war leer, und von hinten durch den Garten konnte man leicht ungesehen eindringen. Nachbarn hatten erzählt, dass Madame Giraud vor rund fünfzehn Minuten von einem Streifenwagen abgeholt worden war. Ein älterer Mann hatte sie
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