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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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die Hand. »Und halt den Mund.«
    Er sah ihr nach, dann ging er in die Mitte des Hofes und setzte sich unter die Ulme. Er musste nicht hingehen. Warum sich dieser Versuchung aussetzen? Es war zu gefährlich. Sie war zu gefährlich.
    Er hatte es nie so weit kommen lassen wollen. Eine Winternacht, nackte Haut in Pelze gehüllt, sein Blut erhitzt vom Glühwein und der Freude der Jagd. Eine Art Wahnsinn war über ihn gekommen. Er war betört worden.
    Am nächsten Morgen war er mit Gewissensbissen erwacht und hatte sich geschworen, dass es nie wieder passieren würde. In den ersten Monaten nach seiner Heirat hatte er den Schwur gehalten. Dann war wieder so eine Nacht gekommen, dann eine dritte und eine vierte. Sie überwältigte ihn, nahm seine Sinne gefangen.
    Jetzt, angesichts der derzeitigen Lage, war ihm noch mehr daran gelegen, die Affäre geheim zu halten. Aber er musste sich vorsehen. Es war wichtig, die Sache gut zu Ende zu bringen. Er würde diese Verabredung nur einhalten, um ihr zu sagen, dass sie si ch nicht mehr treffen durften.
    Er stand auf und ging zum Obstgarten, ehe ihn der Mut verließ. An dem kleinen Tor blieb er stehen, eine Hand schon am Riegel, und rang mit sich. Dann sah er sie unter der Weide stehen, eine schattenhafte Gestalt im schwächer werdenden Licht. Das Herz pochte ihm laut in der Brust. Sie sah aus wie ein dunkler Engel, das offene Haar, in der Dämmerung glänzend tiefschwarz, fiel ihr lockig über den Rücken.
    Guilhem atmete tief durch. Er sollte umkehren. Doch plötzlich, als hätte sie seine Unschlüssigkeit gespürt, drehte Oriane sich um, und er fühlte die Macht ihres Blickes, der ihn zu ihr zog. Er befahl seinem ecuyer, Wache zu halten, dann trat er durch die Pforte auf das weiche Gras und ging auf sie zu.
    »Ich fürchtete schon, Ihr würdet nicht kommen«, sagte sie, als er bei ihr war.
    »Ich kann nicht lange bleiben.«
    Er spürte ihre warmen Fingerspitzen über seine Hand streichen, dann ihre Hand sacht auf seinem Unterarm.
    »Dann verzeiht, dass ich Euch belästige«, raunte sie und schmiegte sich an ihn.
    »Man wird uns sehen«, zischte er und wollte sich von ihr lösen. Oriane neigte den Kopf, und er roch ihren Duft, versuchte das Begehren zu missachten, das sich in ihm rührte. »Warum sprecht Ihr so barsch mit mir?«, sagte sie flehend. »Es ist niemand hier, der uns sehen könnte. Euer ecuyer bewacht das Tor. Außerdem sind heute Nacht alle viel zu beschäftigt, um auf uns zu achten.«
    »So beschäftigt sind sie auch wieder nicht, dass sie gar nichts mehr bemerken«, widersprach er. »Alle halten Augen und Ohren auf. Hoffen auf irgendwas, das sie zu ihrem Vorteil nutzen können.«
    »Was für garstige Gedanken«, murmelte sie und streichelte sein Haar. »Vergesst die anderen. Denkt hier und jetzt nur noch an mich.« Oriane war ihm jetzt so nahe, dass er ihren Herzschlag durch den dünnen Stoff des Gewandes spürte. »Warum seid Ihr so kalt? Habe ich irgendetwas Kränkendes gesagt?«
    Er merkte, wie sein Wille erlahmte, je heißer sein Blut wurde. »Oriane, was wir tun, ist Sünde. Das wisst Ihr. Wir hintergehen Euren Mann und meine Frau mit unserer unheiligen ...« »Liebe?«, schlug sie vor und lachte, ein lieblicher, heller Klang, der ihm das Herz stocken ließ. »Liebe ist keine Sünde, sie ist eine Tugend, die das Schlechte gut und das Gute besser macht. Ihr wisst doch, was die Troubadoure singen.«
    Unwillkürlich hatte er ihr schönes Gesicht in beide Hände genommen.
    »Aber das ist nur Dichtung. Die Wahrheit unserer Gelübde ist etwas ganz anderes. Oder wollt Ihr mich unbedingt missverstehen?« Er holte tief Luft. »Ich will damit sagen, dass wir uns nicht mehr treffen dürfen.«
    Er merkte, wie sie in seinen Armen erstarrte. »Wollt Ihr mich nicht mehr?«, flüsterte sie. Ihr offenes, volles Haar war über ihr Gesicht gefallen und verbarg es vor ihm.
    »Nicht«, sagte er, doch sein Widerstand wurde schwächer.
    »Was kann ich tun, um Euch meine Liebe zu beweisen?«, fragte sie mit so zittriger, so leiser Stimme, dass er sie kaum verstand. »Wenn ich Euer Missfallen erregt habe, Messire, dann sagt es mir.«
    Er schob seine Finger zwischen ihre. »Ihr habt nichts falsch gemacht. Ihr seid wunderschön, Oriane, Ihr seid ...« Er verstummte, fand nicht mehr die richtigen Worte. Die Fibel an Orianes Mantel löste sich, der weiche, schimmernde Stoff glitt von ihren Schultern und sammelte sich wie Wasser um ihre Füße. Sie sah so verletzlich aus, so hilflos, dass er

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