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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Dahinter erstreckten sich fruchtbare grüne Felder. Die Gegend sah ganz anders aus als die Berge der Ariege und die Garrigue der Corbieres.
    Es war fast zwei Uhr, als Alice Salleles d'Aude erreichte. Sie parkte unter den Linden und Schirmkiefern am Rande des Canal du Midi, ganz in der Nähe der Schleuse, und ging dann zu Fuß durch hübsche Sträßchen, bis sie in der Rue des Burgues war. Grace Tanners zweistöckiges Haus stand an der Ecke der Straße und hatte keinen Vorgarten. Ein traumhaft schöner Rosenstock mit leuchtend roten, schweren Blüten umrahmte die altertümliche Holztür und die großen braunen Fensterläden. Das Schloss klemmte, und Alice musste mit dem dicken Messingschlüssel hin und her wackeln, bis sie ihn schließlich drehen konnte. Sie stieß einmal kräftig gegen die Tür und half mit dem Fuß nach. Mit einem Quietschen schabte die Tür über die schwarz-weißen Fliesen und die Werbeprospekte und Broschüren, die gleich dahinter auf dem Boden lagen.
    Sie kam direkt in den einzigen Raum im Erdgeschoss, der links einen Küchenbereich und rechts einen Wohnbereich hatte. Es war kalt und feucht, und der wehmütige Geruch eines verlassenen Hauses lag in der Luft. Die kühle Luft strich ihr wie eine Katze um die nackten Beine. Alice betätigte den Lichtschalter, doch der Strom war abgestellt. Nachdem sie die Prospekte und Wurfsendungen aufgehoben und auf den Tisch gelegt hatte, beugte sie sich über die Spüle, öffnete das Fenster und kämpfte mit dem verzierten Schnappriegel, um die Fensterläden zu öffnen.
    Ein Wasserkocher und eine Grillpfanne, die in Augenhöhe über dem altmodischen Herd hing, waren die einzigen Konzessionen ihrer Tante an den Komfort einer modernen Küche. Das Abtropfgitter war leer und die Spüle sauber. Nur ein paar alte knochentrockene Schwämme klemmten hinter dem Wasserhahn. Alice durchquerte den Raum, öffnete das große Fenster im Wohnbereich und stieß die Fensterläden zurück. Sofort flutete das Sonnenlicht herein und verwandelte den Raum. Sie lehnte sich hinaus, atmete den Duft der Rosen ein und genoss einen Moment lang das entspannende Gefühl der warmen Sommerluft, das ihre Beklommenheit vertrieb. Sie kam sich vor wie ein Eindringling, der ungebeten im Leben eines anderen herumschnüffelte.
    Vor dem Kamin standen zwei Holzsessel mit hoher Rückenlehne. Der Kamin selbst war aus grauem Stein, und auf dem Sims standen ein paar eingestaubte Porzellanfiguren. Die verkohlten Überreste eines längst erkalteten Feuers lagen auf dem Rost. Alice stieß mit der Fußspitze dagegen, und die Reste fielen in sich zusammen, was eine Wolke feine graue Asche aufwirbeln ließ, die sich über alles legte.
    An der Wand neben dem Kamin hing ein Ölgemälde von einem Steinhaus mit einem rot gedeckten, schrägen Dach und Feldern voller Sonnenblumen und Weinstöcken drum herum. Alice entzifferte die Unterschrift, die in die untere rechte Ecke gekritzelt war: BAILLARD.
    Ein Esstisch, vier Stühle und eine Anrichte nahmen den hinteren Teil des Raumes ein. Alice öffnete die Schubladen und Türen und entdeckte Untersetzer und Tis chsets, die mit Bildern franzö sischer Kathedralen geschmückt waren, einen Stapel Leinenservietten und einen Kasten mit Silberbesteck, das laut klapperte, als sie die Schublade wieder zuschob. Das gute Porzellan - Servierteller, Milchkännchen, Dessertschalen und eine Sauciere - war auf den Regalbrettern darunter verstaut.
    In der hinteren Ecke des Raumes waren zwei Türen. Hinter der einen verbarg sich eine Besenkammer - Bügelbrett, Kehrblech mit Handfeger, Besen, ein paar Kleiderhaken und jede Menge ineinander gestopfte Plastiktüten von Géant. Die zweite verbarg die Treppe.
    Alice' Sandalen klatschten auf den Holzstufen, als sie in die Dunkelheit hinaufstieg. Oben angekommen, war geradeaus ein rosa gefliestes, funktionales Badezimmer mit einem vertrockneten Seifenstück in der Seifenschale und ei nem brettharten Handtuch an dem Haken neben dem sachlichen Spiegel.
    Grace Tanners Schlafzimmer war linker Hand. Das schmale Bett war mit Laken und Wolldecke und einem dicken Federbett gemacht. Auf dem Mahagoninachtschränkchen stand eine alte Flasche Magnesiummilch mit weiß verkrustetem Verschluss, und daneben lag eine Biographie über Eleonore von Aquitanien von Alison Weir.
    Der Anblick des altmodischen Lesezeichens zwischen den Seiten ging Alice ans Herz. Sie konnte sich vorstellen, wie Grace vor dem Einschlafen das Lesezeichen ins Buch schob und dann das Licht

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