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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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ausknipste. Aber sie hatte nicht mehr die Zeit gehabt, es zu Ende zu lesen, sondern war vorher gestorben. Alice fühlte sich seltsam gerührt und legte das Buch zur Seite. Sie würde es mitnehmen und ihm ein neues Zuhause geben.
    In der Schublade des Nachttisches lagen ein Säckchen mit Lavendelblüten, dessen lila Verschlussband schon ganz ausgebleicht war, ein ärztliches Rezept und eine Packung frische Taschentücher. Auf dem Regalbrett darunter waren Bücher aufgereiht. Alice ging in die Hocke und legte den Kopf schräg, um die Buchrücken zu lesen. Sie hatte noch nie der Versuchung widerstehen können nachzusehen, was andere Leute im Regal stehen hatten. Es war so ziemlich das, was sie erwartet hatte. Der eine oder andere Roman von Mary Stewart und Joanna Trollope, also leichte Unterhaltungslektüre, eine Buchclubausgabe von Die Leute von Peyton Place und ein dünnes Bändchen über die Katharer. Der Name des Autors war in Großbuchstaben abgedruckt: A. S. BAILLARD. Alice zog die Augenbrauen hoch. Derselbe, der das Bild im Wohnzimmer gemalt hatte? Gleich darunter stand der Name der Übersetzerin: J . GIRAUD.
    Alice zog das Buch heraus und las auf der Rückseite, dass von dem Autor auch eine Übersetzung vom Evangelium des Johannes ins Okzitanische erschienen war. Des Weiteren hatte er mehrere Bücher über das alte Ägypten und eine preisgekrönte Biographie über Jean-François Champollion verfasst, den Forscher, dem es im 19. Jahrhundert gelungen war, das Rätsel der Hieroglyphen zu lösen.
    In Alice' Kopf blitzte ein Gedanke auf. Die Bibliothek in Toulouse, wo die Karten und Grafiken und Illustrationen vor ihren Augen auf dem Bildschirm flimmerten. Schon wieder Ägypten. Vorn auf dem Umschlag von Baillards Buch war das Foto einer Burgruine zu sehen, eingehüllt in rötlichen Nebel und gefährlich dicht am Rand einer Steilwand. Von Ansichtskarten und aus Reiseführern wusste Alice, dass es sich um Montségur handelte. Sie schlug es auf. Die Seiten klappten von selbst ein wenig hinter der Mitte auf, wo eine kleine Karte hineingeschoben worden war. Alice begann zu lesen:
     
    Die Festungszitadelle von Montségur liegt hoch oben auf einem Berg und ist vom Dorf Montségur in gut einer Stunde zu Fuß erreichbar. Sie ist oft von Wolken verdeckt, und drei Seiten der Burg sind regelrecht aus dem Berg herausgeschlagen. Es handelt sich um eine außergewöhnliche natürliche Festung. Das, was wir heute dort sehen, stammt nicht aus dem 13. Jahrhundert, sondern aus jüngeren
    Besatzungskriegen. Und doch fühlen sich Besucher durch die dort herrschende Atmosphäre stets an die tragische Vergangenheit der Festung erinnert.
    Zahllose Legenden ranken sich um Montsegur - den sicheren Berg. Manche halten ihn für einen Sonnentempel, andere glauben, dass er die Vorlage für Wagners Munsalvaesche, den Sicheren Berg oder Gralsberg in seinem größten Werk Parsifal, geliefert hat. Wieder andere sind überzeugt, dass er der letzte Ruheort des Grals war. Es wurde spekuliert, dass die Katharer nicht nur die Hüter des Kelches Christi, sondern auch vieler anderer Schätze aus dem Tempel Salomos in Jerusalem waren. Vielleicht hüteten sie aber auch das Gold der Westgoten und andere Reichtümer aus nicht näher benannten Quellen.
    Es wird zwar angenommen, dass der sagenhafte Schatz der Katharer im Januar 1244 aus der belagerten Zitadelle hinausgeschmuggelt wurde, kurz vor ihrem endgültigen Fall, doch der Schatz wurde nie gefunden. Gerüchte, dass dieser kostbarste aller Gegenstände verloren gegangen ist, sind unrichtig.
     
    Alice las die zu dem Sternchen gehörende Anmerkung unten auf der Seite. Statt einer Fußnote fand sie ein Zitat aus dem Evangelium Johannes', Kapitel acht, Vers zweiunddreißig: Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
    Sie runzelte die Stirn. Was sollte das mit dem Text zu tun haben? Sie legte Baillards Buch zu den anderen, die sie mitnehmen wollte, und ging dann in das gegenüberliegende Schlafzimmer.
    Hier stand eine alte Singer-Nähmaschine, die in diesem französischen Haus mit den dicken Mauern unpassend englisch wirkte. Ihre Mutter hatte früher genau so eine gehabt und stundenlang darauf genäht, was das ganze Haus mit dem beruhigenden Stampfen und Rattern der Nadel erfüllt hatte.
    Alice strich mit der Hand über die staubige Maschine. Sie sah völlig intakt aus. Als sie nacheinander die kleinen Schubfächer öffnete, fand sie Garnspulen, Näh- und Stecknadeln, Bänder

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