Das Verlorene Labyrinth
beantwortet. Falls die Traditionen der Noublesso es nicht untersagen, dass ich meinem Vater diese Last von den Schultern nehme, dann biete ich meine Dienste an seiner statt an. Ich bin durchaus in der Lage, mich zu verteidigen. Ich bin eine vortreffliche Reiterin, im Umgang mit Schwert und Bogen geübt. Niemand würde je vermuten, dass ich ...« Simeon hob die Hand. »Ihr missdeutet unser Zögern, mein Kind. Ich zweifle keineswegs an Eurem Mut oder Eurer Entschlossenheit.«
»Dann gebt mir Euren Segen.«
Simeon seufzte und drehte sich zu Esclarmonde um. »Schwester, was meint Ihr? Natürlich nur, falls Bertrand einwilligt.« »Ich flehe Euch an, Esclarmonde«, bettelte Alaïs , »unterstützt meine Bitte. Ich kenne meinen Vater.«
»Ich kann nichts versprechen«, sagte die alte Frau schließlich, »aber ich werde mich Euch nicht in den Weg stellen.« Ein Lächeln breitete sich auf Alaïs ' Gesicht aus. »Aber Ihr müsst seiner Entscheidung folgen«, sprach Esclarmonde weiter. »Wenn er seine Erlaubnis nicht geben will, müsst Ihr es hinnehmen.«
Er kann nicht nein sagen. Ich lasse ihn nicht nein sagen.
»Ich werde ihm gehorchen, natürlich«, sagte sie.
Die Tür ging auf, und Sajhë platzte ins Zimmer, gefolgt von Bertrand Pelletier.
Er umarmte Alaïs , begrüßte Simeon mit großer Freude und Zuneigung und verneigte sich dann höflich vor Esclarmonde. Alaïs und Sajhë holten Wein und Brot, während Simeon erklärte, was sie bislang besprochen hatten.
Zu Alaïs ' Verblüffung hörte ihr Vater ihm schweigend und ohne irgendwelche Zwischenbemerkungen zu. Sajhë lauschte zunächst mit großen Augen, wurde aber rasch müde und lehnte sich schläfrig gegen seine Großmutter. Alaïs beteiligte sich nicht an dem Gespräch, wohl wissend, dass Simeon und Esclarmonde ihre Sache besser vertreten würden als sie selbst, doch hin und wieder schielte sie zu ihrem Vater hinüber.
Sein Gesicht war grau und zerfurcht, und er wirkte erschöpft. Sie sah ihm an, dass er nicht wusste, was er tun sollte.
Endlich war alles gesagt. In dem kleinen Raum entstand eine gespannte Stille. Alle warteten, unsicher, wie die Entscheidung ausfallen würde.
Alaïs räusperte sich. »Nun, Paire. Wie lautet Eure Entscheidung? Gebt Ihr mir die Erlaubnis?«
Pelletier seufzte. »Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen.«
Ihr Mut sank. »Das weiß ich, und ich bin dankbar für Eure Liebe. Aber ich möchte helfen. Und ich kann es.«
»Ich habe einen Vorschlag, der Euch beide zufrieden stellen könnte«, sagte Esclarmonde leise. »Erlaubt Alaïs , mit der Trilogie aufzubrechen, aber nur ein Stück des Weges zu reisen, sagen wir, bis Limoux. Ich habe dort Freunde, wo sie sicher Unterkommen kann. Wenn Eure Arbeit hier getan ist und der Vicomte Euch entbehren kann, folgt Ihr ihr nach und reist mit ihr gemeinsam weiter in die Berge.«
Pelletier blickte finster. »Darin sehe ich keinerlei Nutzen. Der Irrsinn, in diesen unruhigen Zeiten überhaupt eine Reise zu unternehmen, erregt Aufmerksamkeit, und das wollen wir doch unter allen Umständen vermeiden. Außerdem kann ich nicht sagen, wie lange mich meine Pflichten in Carcassona festhalten werden.«
Alaïs ' Augen funkelten. »Das ist leicht. Ich könnte bekannt geben lassen, dass ich ein Gelübde erfülle, das ich aus Anlass meiner Hochzeit abgegeben habe«, sagte sie und überlegte weiter, während sie sprach. »Ich könnte sagen, dass ich dem Abt von Sant-Hilaire ein Geschenk machen möchte. Von dort ist es nur ein Katzensprung bis Limoux.«
»Diese plötzliche Anwandlung von Frömmigkeit wird niemanden überzeugen«, sagte Pelletier mit einem unvermuteten Anflug von Humor, »vor allem nicht deinen Gemahl.«
Simeon hob einen Finger. »Die Idee ist ausgezeichnet, Bertrand. Eine Pilgerfahrt in dieser Zeit würde bei niemandem Misstrauen wecken. Außerdem ist Alaïs die Tochter des Intendanten von Carcassona. Keiner würde es wagen, ihre Absichten anzuzweifeln.«
Pelletier rutschte auf seinem Stuhl hin und her, und seine Miene war trotzig und hart. »Ich bin noch immer der Auffassung, dass die Trilogie hier, innerhalb der Ciutat, am besten aufgehoben wäre. Harif kann die derzeitige Situation nicht so abschätzen, wie wir das können. Carcassona wird nicht eingenommen werden.«
»Alle Städte, wie stark, wie unbeugsam sie auch sind, können fallen. Das weißt du. Die Anweisungen des Navigataires lauten, die Bücher zu ihm in die Berge zu bringen.« Er fixierte Pelletier mit seinen dunklen
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