Das Verlorene Labyrinth
wenn es entbehrt werden kann. Ich habe Rixende schon vor einiger Zeit auf die Suche nach François geschickt, aber er ist immer noch nicht da.«
»Ich kümmere mich um alles.«
Trencavel sah über ihre Schulter zum Bett hinüber. »Wie kommt es, dass er so schnell erkrankt ist?«
»Es ist schwer zu sagen, warum es den einen so hart trifft und den Nächsten verschont, Messire. Die körperliche Verfassung meines Vaters war durch seine Zeit im Heiligen Land sehr in Mitleidenschaft gezogen. Er ist besonders anfällig für Magenerkrankungen.« Sie zögerte. »So Gott will, wird die Krankheit sich nicht weiter ausbreiten.«
»Besteht kein Zweifel, dass es die Ruhr ist?«, fragte er grimmig. Alaïs schüttelte den Kopf. »Es bekümmert mich, das zu hören. Gebt mir Bescheid, wenn sich sein Zustand verändert.« Während die Stunden langsam verstrichen, wurde die Lebenskraft ihres Vaters immer schwächer. Er hatte helle Augenblicke, in denen er genau zu wissen schien, was mit ihm los war. Dann wieder wusste er weder wo noch wer er war.
Kurz vor Tagesanbruch atmete Pelletier plötzlich nur noch ganz flach. Alaïs, die an seinem Bett eingenickt war, hörte die Veränderung und war schlagartig wach.
»Filha ...«
Sie berührte seine Hände, fühlte seine Stirn und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Das Fieber hatte ihn verlassen, und seine Haut war kalt.
Seine Seele kämpft darum, freigelassen zu werden.
»Hilf mir ...«, brachte er heraus, »... mich aufzusetzen.«
Mit Rixendes Hilfe gelang es Alaïs, ihn in eine sitzende Position zu bringen. Im Verlauf von nur einer Nacht hatte ihn die Krankheit zum Greis gemacht.
»Sprecht nicht«, flüsterte sie. »Spart Eure Kräfte.« » Alaïs «, ermahnte er sie leise. »Du weißt, dass meine Zeit gekommen ist.« In seiner Brust gurgelte und rasselte es, wenn er nach Luft rang. Seine Augen waren hohl und gelb umschattet, und auf seinen Händen und am Hals bildeten sich hellbraune Flecke. »Lass bitte einen parfait kommen.« Er zwang sich, die eingesunkenen Augen zu öffnen. »Ich möchte getröstet sterben.«
»Ihr wollt das consolament hören, Paire?«, fragte sie vorsichtig. Pelletier brachte ein dünnes Lächeln zustande, und für einen Augenblick schien in ihm noch einmal der Mann auf, der er im Leben gewesen war.
»Ich habe den Worten der Bons Chrétiens gut zugehört. Ich habe die Worte des melhorer und des consolament gelernt ...« Er brach ab. »Ich bin als Christ geboren, und ich werde als Christ sterben, aber nicht in den Armen derjenigen, die vor unseren Toren im Namen Gottes Krieg führen. Durch Gottes Gnade werde ich, wenn ich als guter Mensch gelebt habe, in die herrliche Gemeinschaft der Seelen im Himmel aufgenommen werden.« Ein Hustenanfall schüttelte ihn. Alaïs blickte sich verzweifelt im Zimmer um. Sie schickte einen Diener zu Vicomte Trencavel, um ihm zu sagen, dass sich der Zustand ihres Vaters verschlechtert hatte. Sobald er gegangen war, rief sie Rixende.
»Du musst die parfaits holen. Ich hab sie vor einiger Zeit im Hof gesehen. Sag ihnen, dass hier jemand ist, der das consolament erhalten möchte.«
Rixende blickte sie entsetzt an.
»Du machst dich nicht schuldig, nur weil du eine Nachricht überbringst«, sagte Alaïs , um das Mädchen zu beruhigen. »Du musst auch nicht mit ihnen wieder herkommen.«
Eine Bewegung ihres Vaters lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder aufs Bett.
»Rasch, Rixende. Beeil dich.«
Alaïs bückte sich. »Was ist, Paire? Ich bin hier bei Euch.«
Er wollte etwas sagen, doch die Worte schienen ihm in der Kehle zu verkümmern, bevor er sie aussprechen konnte. Sie goss ihm ein wenig Wein in den Mund und betupfte seine ausgetrockneten Lippen mit einem nassen Tuch.
»Der Gral ist das Wort Gottes, Alaïs . Das hat Harif versucht, mich zu lehren, wenngleich ich ihn nicht verstand.« Seine Stimme war brüchig. »Aber ohne den merel ... die Wahrheit des Labyrinths ... ist es ein falscher Weg.«
»Was ist mit dem merel?«, flüsterte sie beschwörend, verstand nicht, was er meinte.
»Du hattest Recht, Alaïs . Ich war zu verbohrt. Ich hätte dich gehen lassen sollen, als noch Zeit war.«
Alaïs versuchte sich auf seine unzusammenhängenden Worte einen Reim zu machen. »Welcher Weg?«
»Ich habe sie nicht gesehen«, murmelte er, »und jetzt ist es dafür zu spät. Die Höhle ... nur wenige haben sie gesehen.«
Alaïs drehte sich verzweifelt zur Tür um.
Wo bleibt Rixende?
Auf dem Gang draußen ertönte das
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