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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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keine Kirche. Eine schwache Erinnerung kehrte zurück. Ein langer, dunkler Gang in eine Höhle, eine steinerne Kammer. Und dann? Alles war verschwommen, unscharf. Alice versuchte den Kopf zu heben. Ein Fehler. Eine Explosion von Schmerz am Schädelansatz. Übelkeit schwappte ihr durch den Magen, wie Kielwasser auf dem Grund eines vermoderten Bootes.
    »Alice? Hörst du mich?«
    Jemand sprach mit ihr. Besorgt, ängstlich, eine Stimme, die sie kannte.
    »Alice? Wach auf.« Sie versuchte erneut den Kopf zu heben. Diesmal war der Schmerz nicht ganz so schlimm. Langsam und vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf.
    »Gott sei Dank«, sagte Shelagh und klang erleichtert.
    Sie spürte Hände unter ihren Armen, die sie in eine sitzende
    Position hoben. Alles war finster und dunkel, bis auf die zuckenden Lichtkegel der Taschenlampen. Zwei Taschenlampen. Alice kniff die Augen zusammen und erkannte Stephen, einen der Älteren im Grabungsteam, der hinter Shelagh hockte. In seiner Nickelbrille spiegelte sich das Licht.
    »Alice, sag was. Hörst du mich?«, fragte Shelagh.
    Ich weiß nicht. Kann sein.
    Alice versuchte zu sprechen, doch ihr Mund stand schief, und sie brachte keinen Ton heraus. Sie nickte schwerfällig. Die Bewegung machte sie schwindelig. Sie senkte den Kopf zwischen die Knie, um nicht ohnmächtig zu werden.
    Mit Shelagh auf der einen und Stephen auf der anderen Seite schob sie sich rückwärts, bis sie auf der oberen Steinstufe saß, die Hände auf die Knie gestützt. Alles schien rückwärts und vorwärts zu schwanken, nach innen und außen, wie ein unscharf gestellter Film.
    Shelagh kauerte vor ihr, sprach, doch Alice verstand nicht, was sie sagte. Der Klang war verzerrt, als würde eine Schallplatte mit falscher Geschwindigkeit abgespielt. Wieder stieg Übelkeit in ihr auf, als weitere, unzusammenhängende Erinnerungen zurückgeflutet kamen: das Geräusch des Schädels, der in die Dunkelheit rollt; ihre Hand, die nach dem Ring greift; das Wissen, etwas aufgeschreckt zu haben, das in den tiefsten Tiefen des Berges geschlafen hat, etwas Böses.
    Dann nichts.
    Ihr war schrecklich kalt. Sie hatte Gänsehaut auf den nackten Armen und Beinen. Alice wusste, dass sie nicht lange bewusstlos gewesen sein konnte, höchstens einige Minuten. So ein unbedeutendes bisschen Zeit. Aber es war anscheinend lang genug gewesen, um von einer Welt in eine andere zu gleiten.
    Alice fröstelte. Dann eine andere Erinnerung. Wie sie träumt, immer denselben Traum. Zuerst das Gefühl von Frieden und Leichtigkeit, alles weiß und klar. Dann der freie Fall durch den leeren Himmel, der Boden, der ihr entgegenschießt. Es gab keine Kollision, keinen Aufprall, nur die dunkelgrünen Säulen der Bäume, die über ihr aufragten. Dann das Feuer, die tosende rotgold-gelbe Flammenwand.
    Sie schlang die nackten Arme um sich. Warum war der Traum zurückgekommen? Ihre ganze Kindheit hatte der Traum sie verfolgt, immer gleich, ohne je irgendeine Auflösung zu bieten. Während ihre Eltern ahnungslos im Zimmer nebenan schliefen, hatte Alice Nacht für Nacht wach im Dunkeln gelegen, die Hände in die Decke gekrallt, entschlossen, ihre Dämonen allein zu besiegen.
    Aber schon seit Jahren nicht mehr. Der Traum hatte sie jahrelang in Ruhe gelassen.
    »Komm, wir versuchen mal, dich auf die Beine zu stellen«, sagte Shelagh jetzt.
    Das hat nichts zu bedeuten. Ein einziges Mal muss nicht heißen, dass alles wieder von vorn anfängt.
    »Alice«, sagte Shelagh mit ein wenig schneidender Stimme. Ungeduldig. »Meinst du, du kannst stehen? Wir müssen dich zurück ins Lager bringen. Du musst untersucht werden.«
    »Ich glaube schon«, sagte Alice schließlich. Ihre Stimme klang ganz fremd. »Der Kopf tut mir weh.«
    »Du schaffst das, Alice. Komm, versuch's mal.«
    Alice sah nach unten auf ihre rotes, geschwollenes Handgelenk. Verdammt. Sie erinnerte sich nicht genau, wollte sich auch gar nicht erinnern. »Ich weiß nicht mehr, was passiert ist. Das hier ...«, sie hob die Hand. »Das ist draußen passiert.«
    Shelagh legte stützend die Arme um Alice. »Okay?«
    Alice nahm allen Mut zusammen und ließ sich von Shelagh auf die Beine hieven. Stephen nahm ihren anderen Arm. Sie schwankte ein bisschen, hatte Mühe, das Gleichgewicht zu finden, doch nach ein paar Sekunden ging der Schwindel vorbei, und das Gefühl kehrte in ihre tauben Arme und Beine zurück. Vorsichtig krümmte und streckte Alice die Finger, spürte, wie sich die aufgeschürfte Haut über den

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