Das Verlorene Labyrinth
Kleine. »Folgt mir.«
Sie führte ihn in das Viertel der Händler, wo die Geldverleiher ihre Geschäfte hatten, und durch ein Gewirr von völlig gleich aussehenden Sträßchen mit dicht gedrängten Läden und Häusern. Schließlich blieb sie vor einer unauffälligen Tür stehen. Pelletier ließ den Blick schweifen, bis er fand, was er suchte. Über Simeons Initialen war das Zeichen der Buchbinder in den Stein gemeißelt. Pelletier lächelte erleichtert. Es war das richtige Haus. Er dankte der Kleinen, drückte ihr eine Münze in die Hand und schickte sie fort. Dann hob er den schweren Messingklopfer und schlug dreimal gegen die Tür.
Es war lange her, über fünfzehn Jahre. Ob zwischen ihnen noch immer jene unbekümmerte Zuneigung herrschen würde?
Die Tür öffnete sich einen Spalt, gerade weit genug, um ihm eine Frau zu zeigen, die ihn argwöhnisch anstarrte. Ihre dunklen Augen blickten feindselig. Sie trug einen grünen Schleier, der ihr Haar und den unteren Teil des Gesichts bedeckte, und die traditionelle weite, helle Pumphose, wie sie jüdische Frauen im Heiligen Land trugen. Die lange gelbe Jacke reichte ihr bis zu den Knien.
»Ich möchte Simeon sprechen«,' sagte er.
Sie schüttelte den Kopf und wollte die Tür schließen, doch er schob seinen Fuß dazwischen.
»Gib ihm das«, sagte er, zog den Ring vom Daumen und drückte ihn der Frau in die Hand. »Sag ihm, Bertrand Pelletier ist hier.«
Er hörte, wie sie nach Luft schnappte. Sogleich trat sie zurück und ließ ihn ins Haus. Pelletier folgte ihr durch einen schweren roten Vorhang, der von oben bis unten mit aufgenähten Goldmünzen verziert war.
»Attendez«, sagte sie und bedeutete ihm, dort stehen zu bleiben, wo er war.
Die Kettchen an ihren Hand- und Fußgelenken klimperten, als sie den langen Gang hinuntereilte und verschwand.
Von außen wirkte das Haus hoch und schmal, doch jetzt, wo er drinnen war, merkte Pelletier, dass der Eindruck täuschte. Von dem mittleren Gang gingen rechts und links Zimmer ab. Trotz der Dringlichkeit seiner Mission sah sich Pelletier entzückt um. Der Boden war nicht aus Holz, sondern blau und weiß gefliest, und schöne Teppiche hingen an den Wänden. Er musste an die eleganten, exotischen Häuser in Jerusalem denken. Es war viele Jahre her, aber die Farben, Stoffe und Düfte jenes fremden Landes faszinierten ihn immer noch.
»Bertrand Pelletier, bei allem, was in dieser müden alten Welt heilig ist!«
Pelletier wandte sich zu der Stimme um und sah eine kleine Gestalt in einem langen, purpurfarbenen Umhang mit ausgestreckten Armen auf sich zugeeilt kommen. Beim Anblick seines alten Freundes tat sein Herz einen Sprung. Die schwarzen Augen blitzten so wach wie immer. Fast wäre Pelletier von Simeons schwungvoller Umarmung umgerissen worden, obwohl er gut und gern einen Kopf größer war.
»Bertrand, Bertrand«, sagte Simeon herzlich, und seine tiefe Stimme dröhnte durch den stillen Korridor. »Du hast dir aber Zeit gelassen, was?«
»Simeon, alter Freund«, sagte er lachend und packte Simeons Schultern, als er wieder zu Atem kam. »Es tut gut, dich zu sehen
und noch dazu so wohlauf. Sieh dich nur an«, sagte er und zupfte an dem langen schwarzen Bart seines Freundes, schon immer Simeons ganzer Stolz. »Hier und da ein bisschen Grau, aber ansonsten so prächtig wie immer! Das Leben hat es anscheinend gut mit dir gemeint?«
Simeon hob die Schultern. »Könnte besser sein, könnte schlechter sein«, sagte er und trat zur ück. »Und was ist mit dir, Ber trand? Ein paar Falten mehr im Gesicht, vielleicht, aber noch immer dieselben stechenden Augen und breiten Schultern.« Er klopfte ihm mit der flachen Hand auf die Brust. »Und noch immer stark wie ein Ochse.«
Einen Arm um Simeons Schultern gelegt, wurde Pelletier nach hinten in einen kleinen Raum geführt, der auf einen schmalen Innenhof ging und mit zwei Liegen ausgestattet war, auf denen sich rote, lila und blaue Seidenkissen türmten. Mehrere Ebenholztische waren im Zimmer verteilt. Darauf standen zarte Vasen und große, flache Schalen mit süßem Mandelgebäck. »Komm, zieh die Stiefel aus. Esther wird uns Tee bringen.« Simeon trat zurück und betrachtete Pelletier erneut von oben bis unten. »Bertrand Pelletier«, wiederholte er kopfschüttelnd. »Darf ich meinen alten Augen trauen? Bist du wirklich nach so vielen Jahren hier? Oder bist du ein Geist? Ein Trugbild meines alten Hirns?«
Pelletier lächelte. »Ich wünschte, ich wäre unter glücklicheren
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