Das verlorene Regiment 01 - Der letzte Befehl
mehr die Mühe, Weiss zurechtzuweisen, wenn dieser ihn mit »Junge« ansprach. Schließlich war der Mann doppelt so alt wie Andrew, und eigentlich redete Weiss jeden im Regiment so an, selbst den sehr gefürchteten Hans, und der alte Doktor änderte diese Gewohnheit nicht mal in einem seiner typischen Anfalle von mieser Laune.
»Der Letzte ist an Bord, Sir«, meldete Hans und spazierte auf die beiden neben dem Pier stehenden Offiziere zu.
»Was machen die Hämorrhoiden, Sergeant Major?«, erkundigte sich Weiss, als ginge es um die schwerste Verletzung.
Hans spie geschickt einen Strom Tabaksaft aus, der den alten Arzt knapp verfehlte.
»Vielleicht sollte Ihnen unser guter Colonel hier befehlen, sich einer Operation zu unterziehen – ich könnte Ihnen die Dinger schnurstracks entfernen.«
»Mit allem gebührenden Respekt-vergessen Sie’s, Sir«, knurrte Hans.
Zum ersten Mal seit Tagen legte Andrew den Kopf in den Nacken und lachte über die Verlegenheit seines Sergeants und Freundes.
»Nun, Gentlemen, sollten wir nicht lieber an Bord gehen? Ich halte es für besser, unseren guten Kapitän nicht warten zu lassen.«
Ohne große Vorfreude auf das Zusammenleben mit einem, wie er wohl wusste, sehr unfreundlichen Schiffskapitän schritt Andrew hinter dem Letzten seiner Leute die Planke hinauf. Außerdem stellte sich ihm noch ein anderes Problem, denn wie Hans litt er an schwerer Seekrankheit, und bei der bloßen Vorstellung schauderte ihn bereits.
»Colonel Keane?«
Ein junger Marineoffizier erwartete ihn an Deck des Dampfers.
Andrew nickte ihm zu, und der Seemann salutierte.
»Ich bin Mr. Bullfinch, Sir. Captain Cromwell erwartet Sie und Ihre Offiziere in der Offiziersmesse. Ich glaube, Sir, dass Ihre übrigen Offiziere bereits dort sind.«
»Nun, Gentlemen, wir dürfen den Captain nicht auf die Folter spannen«, sagte Andrew gelassen, und sie folgten dem jungen Ensign nach achtern.
»Also geruht der gute Colonel endlich, sich zu uns zu gesellen«, knurrte Cromwell, als Bullfinch die drei in die enge Offiziersmesse führte.
Andrew blickte sich um. Seine Kompanieoffiziere waren allesamt da, aber sein Stellvertreter, der Regiments-Quartiermeister und die übrigen Offiziere seines Führungsstabes fehlten.
»Ihr Stab ist bereits mit General Terry abgereist.«
Andrew erkannte die restlichen Männer als der 44. Leichten Artillerie New York zugehörig und nickte Major O’Donald zu, ihrem kräftigen rotbärtigen Kommandeur, der ihn in gespieltem Ernst mit erhobenem Glas Wein grüßte.
»Schon tief ins Glas geblickt«, flüsterte Weiss.
Die 44. hatte ihren Ruf weg. Die Männer waren aus dem New Yorker Bezirk Five Points rekrutiert und zählten zu den härtesten Trinkern und Schlägern in der Armee. Zugute halten konnte man ihnen lediglich, dass sie gegenüber Rebellen noch zehnmal härter waren als zu ihresgleichen und jedem, der ihnen sonst über den Weg lief.
»Ich werde mich kurz fassen. Ich muss mich immer noch um den Rest unserer verspäteten Ladung kümmern«, sagte Cromwell und bedachte Andrew mit anklagendem Blick. Dieser erwiderte den Blick gelassen, obwohl dieser Mann alles zu tun schien, um sich einen Feind zu machen.
»An Bord dieses Schiffes bestimme ich, und Sie gehorchen. Ihre Männer haben mir nicht in die Quere zu kommen. Falls Probleme zwischen Ihren und meinen Leuten auftreten, kümmere ich mich darum.«
»Das 35. kümmert sich selbst um seine Probleme«, sagte Andrew leise.
»Aye, Junge, und das Gleiche gilt für die 44.«, ergänzte O’Donald.
Tobias blickte von einem Kommandeur zum anderen.
»Den Bestimmungen zufolge …«
»Ich kenne die Bestimmungen, Captain«, unterbrach ihn Andrew so leise, dass man ihn im hintersten Winkel der Kabine kaum noch verstand. »Ich übergebe Ihnen jedoch nicht das Kommando über meine Männer. Ich erkenne Ihr Recht an, dieses Schiff zu führen. Ich käme nie auf die Idee, mich da einzumischen, aber ebenso wenig akzeptiere ich, dass Sie sich in mein Kommando einmischen. Falls es zu Auseinandersetzungen zwischen Ihren und meinen Leuten kommt, behandeln wir beide sie entsprechend dem Militärgesetz.«
»Wie ich schon sagte«, gab auch O’Donald zurück, kam um den Tisch herum und stellte sich neben Andrew.
Tobias blickte vom einen zum anderen und bemerkte auch das kaum unterdrückte Grinsen der übrigen Infanterie- und Artillerie-Offiziere, die im Gegensatz zu ihm wussten, was passieren konnte, falls man ihre jeweiligen Kommandeure ausreichend
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