Das Verlorene Symbol
Freimaurerritus war die Akedah stets heilig gewesen. Schon im ersten Grad verneigten sich die Freimaurer vor dem ›größten Geschenk, das der Mensch Gott je darbot … der Unterwerfung Abrahams unter den Willen des Höchsten Wesens, indem er bereit war, seinen erstgeborenen Sohn Isaak zu opfern …‹
Mal'akh spürte die Erregung, die das Messer in seiner Hand auslöste, als er sich hinunterbeugte und mit der frisch geschärften Klinge die Stricke durchschnitt, die Peter an den Rollstuhl fesselten. Die Stricke fielen zu Boden.
Schmerz durchzuckte Peter Solomon, als er versuchte, seine verkrampften Gliedmaßen zu bewegen. »Was haben Sie vor? Wozu soll das alles gut sein?«
»Das sollten Sie doch am ehesten verstehen«, erwiderte Mal'akh. »Sie haben die alten Gebräuche studiert. Sie wissen, dass ein Opfer nötig ist, um die Macht der Mysterien freizusetzen … dass eine menschliche Seele von ihrem Körper befreit werden muss. So war es von Anfang an.«
»Sie haben keine Ahnung von Opfern«, sagte Peter, und seine Stimme bebte vor Wut, Abscheu und Schmerz.
Ausgezeichnet, dachte Mal'akh. Nähre deinen Hass. Es wird alles leichter machen.
Mal'akh ging vor seinem Gefangenen auf und ab. Sein leerer Magen knurrte. »Dem Vergießen menschlichen Blutes wohnt eine ungeheure Kraft inne. Das ist seit Urzeiten bekannt. Die frühen Ägypter wussten es, die keltischen Druiden, die Chinesen und Azteken. Im Menschenopfer liegt eine magische Kraft. Der moderne Mensch aber ist zu schwach geworden. Er fürchtet sich davor, wahre Opfer zu bringen, und wagt es nicht, das Leben hinzugeben, wie es sein muss, um die spirituelle Transformation zu vollenden. Die alten Texte lassen keinen Zweifel daran. Nur indem man opfert, was einem am Heiligsten ist, kann man die höchste Macht erlangen.«
»Sie halten mich für ein wertvolles Opfer?«
Mal'akh musste laut lachen. »Sie verstehen noch immer nicht, oder?«
Peter starrte ihn verwirrt an.
»Wissen Sie, warum ich einen Deprivationstank in meinem Haus habe?« Mal'akh stemmte die Hände in die Hüften und dehnte seinen tätowierten Körper. »Ich habe trainiert … mich vorbereitet … den Augenblick herbeigesehnt, an dem ich nur noch Geist bin … an dem ich diese sterbliche Hülle abwerfe … an dem ich das Opfer darbringe und den Göttern diesen wunderschönen Körper zum Geschenk mache. Ich bin der Kostbare. Ich bin das reine weiße Lamm!«
Peters Mund öffnete sich, doch er brachte kein Wort hervor.
»Ja, Peter, wir müssen den Göttern opfern, was uns am Teuersten ist. Unseren wertvollsten Besitz. Sie, Peter, sind nicht wertvoll. Sie sind es nicht wert, geopfert zu werden.« Mal'akh starrte ihn an. »Verstehen Sie denn nicht? Sie sind nicht das Opfer, Peter … Ich bin es! Mein Fleisch wird dargebracht. Ich bin das Geschenk, die Gabe. Schauen Sie mich an. Ich habe mich vorbereitet, habe alles getan, auf dass ich würdig bin, die letzte Reise anzutreten. Ich bin die Opfergabe!«
Peter wusste noch immer nicht, was er sagen sollte.
»Das Geheimnis liegt darin, wie man stirbt«, fuhr Mal'akh fort. »Freimaurer verstehen das.« Er deutete auf den Altar. »Ihr folgt den alten Wahrheiten, und dennoch seid ihr Feiglinge. Ihr wisst, welche Macht in der Darbringung eines Opfers liegt; dennoch distanziert ihr euch vom Tod und vollzieht eure merkwürdigen Scheinmorde und unblutigen Todesrituale. Heute Nacht wird euer Altar seiner wahren Bestimmung zugeführt.«
Mal'akh bückte sich, packte Peter Solomons linken Arm und drückte ihm das Opfermesser in die Hand. Die linke Hand, die Dienerin der Dunkelheit. Auch dies war alles so geplant. Peter würde keine Wahl haben. Mal'akh konnte sich kein größeres, kein symbolischeres Opfer vorstellen als das, was heute Nacht auf diesem Altar von diesem Mann mit diesem Messer vollzogen werden würde. Und das Fleisch, die sterbliche Hülle, in die das Messer sich bohren würde, war wie ein Geschenk geschmückt, gehüllt in ein Leichentuch mystischer Symbole.
Mit diesem Opfer seiner selbst würde Mal'akh sich in der Hierarchie der Dämonen einen festen Platz sichern. Dunkelheit und Blut – dort lag die wahre Macht. Die Alten hatten es gewusst, und die Adepten hatten je nach Veranlagung ihre Seite der Macht gewählt. Mal'akh hatte weise entschieden. Chaos war das natürliche Gesetz des Universums. Gleichgültigkeit war der Motor der Entropie. Die Apathie der Menschen bildete den fruchtbaren Boden, in dem die Saat der dunklen Mächte
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