Das Verlorene Symbol
Bibel liege im Verborgenen, dass er buchstäblich die Seiten zerschnitt und das Buch neu herausgab, ›um das künstliche Gerüst zu demontieren und die echte Lehre wiederherzustellen‹, wie er sich ausdrückte.«
Langdon wusste davon. Die Jefferson-Bibel wurde noch heute gedruckt und enthielt viele der umstrittenen Änderungen Thomas Jeffersons. Zum Beispiel fehlten in seiner Bibel die jungfräuliche Geburt Christi und seine Auferstehung. Es hörte sich unglaublich an, aber ebendiese Bibel war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedem neuen Kongressmitglied überreicht worden.
»Peter, du weißt, ich finde dieses Thema faszinierend, und ich kann verstehen, wie verlockend die Vorstellung ist, die Bibel könne versteckte Botschaften enthalten. Aber ich halte es für unlogisch. Es ist doch paradox, eine Lehre verschlüsselt zu übermitteln.«
»Sicher, aber …«
»Lehrer lehren, Peter. Warum sollten die Verfasser der Bibel, die größten Lehrer überhaupt, verdunkeln, was sie zu sagen hatten? Wenn sie die Welt verändern wollten, wozu dann in Rätseln sprechen? Warum nicht Klartext reden, damit die Welt sie versteht?«
Peter sah ihn über die Schulter hinweg an. Er wirkte überrascht. »Aus dem gleichen Grund«, sagte er, »weshalb die Schulen der Alten Mysterien geheim gehalten wurden. Aus dem gleichen Grund, weshalb die Neophyten eingeweiht werden mussten, bevor sie die geheimen Lehren kennenlernen durften. Aus dem gleichen Grund, weshalb die Wissenschaftler des Unsichtbaren Collegiums sich weigerten, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Dieses Wissen ist mächtig, Robert. Die Alten Mysterien darf man nicht in die Gegend posaunen. Sie sind die lodernde Fackel, die in der Hand eines Meisters den Weg erhellen, in der Hand eines Wahnsinnigen aber einen Weltenbrand entfachen kann.«
Langdon stutzte. Was redet er da? »Ichmeine die Bibel, Peter. Wieso sprichst du von den Alten Mysterien?«
Peter drehte sich um. »Verstehst du denn nicht? Die Alten Mysterien und die Bibel sind ein und dasselbe.«
Langdon blickte ihn entgeistert an.
Peter schwieg ein paar Sekunden und ließ den Satz wirken. Erst dann fuhr er fort: »Die Bibel ist eines jener Bücher, die die Mysterien durch sämtliche Epochen der Geschichte weitergegeben haben. Jede einzelne Seite schreit förmlich danach, uns ihr Geheimnis mitzuteilen. Verstehst du nicht? Die ›dunklen Worte‹ in der Bibel raunen uns die verborgene Weisheit der Alten zu.«
Langdon schwieg. Nach seinem Verständnis waren die Alten Mysterien eine Art Handbuch zur Nutzbarmachung der verborgenen Kräfte des menschlichen Geistes … eine Anleitung zur persönlichen Apotheose. Langdon hatte solch eine Wirkung der Mysterien nie akzeptieren können, und die Vorstellung, die Bibel enthalte einen Schlüssel dazu, erschien ihm weit hergeholt.
»Peter«, wandte er vorsichtig ein, »die Bibel und die Alten Mysterien stehen einander diametral gegenüber. Bei den Mysterien geht es um den Gott in uns … um den Menschen als Gott. In der Bibel geht es um den Gott über uns … und um den Menschen als armseligen Sünder.«
»Genau! Du hast den Finger auf das entscheidende Problem gelegt. In dem Augenblick, an dem der Mensch sich von Gott getrennt hat, ging die wahre Bedeutung des Wortes verloren. Die Stimmen der alten Meister wurden längst übertönt und sind untergegangen im chaotischen Getöse selbst ernannter Fachleute, die behaupten, sie allein verstünden das Wort, und dass es in ihrer Sprache geschrieben sei und keiner anderen.«
Peter stieg weiter die Treppe hinunter.
»Du und ich, wir wissen, dass die Alten entsetzt wären, auf welche Weise ihre Lehren verdreht und pervertiert wurden … dass die Religion sich als Mautstation zum Himmel etabliert hat … dass Soldaten in den Krieg marschieren in dem Glauben, Gott stehe auf ihrer Seite. Wir haben das Wort verloren, und doch ist seine wahre Bedeutung noch in Reichweite, direkt vor unseren Augen. Es existiert in den fortdauernden Schriften, von der Bibel bis zur Bhagavad Gita, dem Koran und anderen. Alle diese Texte werden auf den Altären der Freimaurer verehrt, weil die Freimaurer verstehen, was die Welt vergessen zu haben scheint: Dass jeder dieser Texte auf seine Weise ein und dieselbe Botschaft vermittelt.« Peter hob bewegt die Stimme. »›Wisst ihr denn nicht, dass ihr Götter seid?‹« Flüsternd fuhr er fort: »Buddha sagte, ihr selbst seid Gott. Jesus lehrte, das Reich Gottes ist in euch, und die Werke, die ich
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