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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Augen, wie es oft der Fall war, wenn mich eine Vision überkam. Diesmal jedoch schaute ich weder ins Feuer noch ins Sonnenlicht. Ich stand nur reglos da, den Blick auf den Lemming geheftet. „Lass es dir schmecken, junger Herr!“, sagte der Bartkauz.
    „Nein!“, sagte ich.
    „Wieso denn nicht? Das ist ein schöner saftiger Lemming.“ Der Bartkauz klang gereizt. Ich starrte immer noch auf den Lemming. Jetzt erkannte ich in seinem Bauch etwas Grünes, Zusammengeringeltes.
    „Nein!“, rief ich laut und versetzte dem Lemming einen Fußtritt. Er fiel in die Tiefe. Man hörte ein wütendes Zischen und etwas grün Leuchtendes glitt durch die Luft.
    „Eine Flugschlange!“, rief H’rath erschrocken. Wir drückten uns an den Felsen. Die Schlange ringelte sich zusammen, als wollte sie zustoßen.
    Ich schwang mich in die Lüfte und flog auf sie zu. Hinterher konnte ich mich an nichts mehr erinnern, aber meine Freunde erzählten mir, ich hätte etwas Unverständliches gerufen. Erst habe es ausgesehen, als würde die Schlange abstürzen, dann habe sie die Flucht ergriffen.
    Als wir uns von dem Schreck erholt hatten, war der Bartkauz verschwunden.
    „Er wollte uns umbringen!“, sagte H’rath ungläubig.
    „Nicht uns – dich “, berichtigte ihn Siv.
    „Stimmt … der Prinz sollte als Erster fressen.“ Uns allen dreien war klar, welchen Prinzen der Bartkauz gemeint hatte.
    Siv und H’rath drehten sich zu mir um. „Du hast mir das Leben gerettet, Gränk“, sagte H’rath. „Woher hast du gewusst, dass da etwas faul war?“
    „Na ja … ihr wisst doch, dass ich manchmal mehr sehe als andere.“
    „Aber so etwas hast du noch nie gesehen“, erwiderte Siv.
    „Das stimmt. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Ich staunte selbst über mich.
    Siv blickte mich mit ihren wunderschönen gelbbraunen Augen forschend an. „Bist du ein Zauberer, Gränk?“ Obwohl ich diese Frage irgendwann erwartet hatte, erschauerte ich unwillkürlich.
    Worin unterscheidet sich die Gabe eines Zauberers von der Magie der Dämonen? Als ich noch ein Kind war, kannte man nur Hägsmagie, und das war immer böse Magie. Man erzählte sich jedoch, es gebe auch Zauberer, die sich guter Magie widmeten. Manche behaupteten, der Eulerich Hoole sei ein solcher Zauberer gewesen. Die meisten Eulen hielten das allerdings für ein Hirngespinst. Dass es auch gute Magie geben solle, sei einfach nur Wunschdenken, behaupteten sie. Doch was war mit mir geschehen, als ich die Schlange verjagt hatte? Als Siv mich fragte, ob ich ein Zauberer sei, konnte ich es selbst noch nicht fassen. Trotzdem gab ich mir Mühe, ihr ehrlich zu antworten.
    „Das weiß ich nicht, Siv. Ich habe keine Ahnung, was vorhin über mich gekommen ist. Ich habe etwas gesehen, aber es war ganz anders als die Bilder, die ich sonst im Feuer sehe. Aber wenn ich tatsächlich ein Zauberer sein sollte …“
    Kaum hatte ich es ausgesprochen, legten Siv und H’rath die Federn an und wichen angstvoll vor mir zurück.
    „Bitte fürchtet euch nicht vor mir! Wenn ihr nichts mehr mit mir zu tun haben wollt, wer bleibt mir dann noch?“ Ich stellte mir schon vor, wie meine Freunde jedes Mal die Zehen gegen den bösen Blick kreuzten, wenn ich ihnen zu nahe kam. Schrecklich!
    Aber Siv riss sich zusammen, kam wieder auf mich zu und sagte: „Keine Sorge, Gränk. Wir drei bleiben Freunde. Für immer und ewig.“
    Auch H’rath kam zu mir und legte mir den Flügel auf die Schulter. „Für immer und ewig!“, bekräftigte er. „Und wir werden niemandem etwas erzählen – versprochen.“ Siv und H’rath pickten mit den Schnäbeln zwei Eissplitter los, stachen sich zwischen die Zehen und drückten die Füße aneinander.
    „Ich, H’rath …“
    „Und ich, Siv …“
    Sie sprachen im Chor weiter: „… geloben hiermit, dass wir für uns behalten, was soeben geschehen ist. Außerdem werden wir mit niemandem darüber sprechen, was für eine Gabe unser bester Freund Gränk besitzt. Das schwören wir bei Glaux und bei unserem Blute.“
    Mein Magen bebte vor Rührung. Ich war glücklich, solche Freunde zu haben. Zugleich fühlte ich mich wieder einmal als Außenseiter. Als ich die beiden so anschaute – den stattlichen H’rath und die liebreizende Siv –, spürte ich, dass sie untrennbar zusammengehörten. Ich, Gränk, würde immer nur der „gute Freund“ bleiben. Dennoch konnten wir drei gemeinsam Großes bewirken, das ahnte ich.
    Unser Erlebnis mit dem Bartkauz und dem Lemming warf viele

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