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Das Vermächtnis

Das Vermächtnis

Titel: Das Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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eingetreten! Hägsdämonen hatten sich bei den Glaux-Schwestern eingeschlichen und die frommen Eulenweibchen verflucht. Es war Sivs treue Dienerin, die Schnee-Eule Myrrthe, die als Erste Verdacht schöpfte.

„ Bitte entschuldigt die Störung“, sagte die Schnee-Eule, „ aber hättet Ihr vielleicht einen Happen Lemming für eine arme alte Stromerin übrig, die seit einem halben Mondzyklus nichts Vernünftiges mehr gefressen hat?“
    Myrrthe und Siv hatten sich als Stromer-Eulen kostümiert. Sie hatten sich mit Flechten und winterlichen Ranken behängt und sich vertrocknete Blumen ins Gefieder gesteckt. Um die Tarnung zu vervollständigen, ahmte Myrrthe den melodischen Tonfall der umherziehenden Sänger nach.
    Bis jetzt hatte noch niemand sie entlarvt. Trotzdem hatten sie sich darauf geeinigt, dass Myrrthe erst einmal allein bei den Glaux-Schwestern vorsprechen sollte. Sie sollte sich vergewissern, dass Sivs Cousine immer noch dort die Oberin war. Vor einigen Sommern hatten Siv und Myrrthe die Gemeinschaft besucht und schöne Tage bei den Schwestern verbracht.
    Die Oberin, auch Glauxissin genannt, musterte die Bittstellerin. Dann sagte sie: „Aber klar doch, komm rein.“
    Myrrthe beäugte die Glauxissin ihrerseits. Sie sah aus wie Sivs Cousine Rorkna, und doch war sie irgendwie verändert. Inwiefern, konnte Myrrthe nicht sagen, aber sie wurde misstrauisch. Sie folgte Rorkna durch die unterirdischen Gänge, an denen die kleinen Wohnhöhlen der Schwestern lagen. Schließlich kamen sie in eine größere Höhle, wo auf einem flachen Stein ein ganzer Berg erbeuteter Wühlmäuse lag. Die übrigen Glaux-Schwestern hatten bereits mit Fressen begonnen. Myrrthe konnte den Blick nicht von dem Fleisch wenden. Ihr lief das Wasser im Schnabel zusammen.
    „Hast wohl lange nix mehr zu futtern gekriegt, was?“
    Wie bitte? So sprach doch keine Glauxissin, die einer ehrwürdigen Adelsfamilie entstammte! Hier stimmte etwas nicht! Aber Myrrthe durfte sich nichts anmerken lassen. Sie würde sich satt fressen und so schnell wie möglich wieder verschwinden. Im Stillen dankte sie Glaux, dass sie Siv überredet hatte, in ihrem Versteck am Fuß des Eisdolch-Felsens zu bleiben.
    Myrrthe hatte einen schlimmen Verdacht, was mit den Glaux-Schwestern geschehen war. Anscheinend war die Magie der Hägsdämonen noch heimtückischer, als es allgemein bekannt war. Eine Großtante hatte Myrrthe einmal von einem Fluch erzählt, der nur den allermächtigsten Dämonen zu Gebote stand. „Hägs-Ga’“ wurde er genannt. Aber die Großtante war eine übertrieben abergläubische Eule gewesen, die in jedem Winkel einen Dämon vermutete und ständig die Zehen kreuzte. Darum hatte Myrrthe ihre Worte nicht weiter ernst genommen. Jetzt aber zog sich ihr Magen ängstlich zusammen.
    Lass mich dir erklären, lieber Eulenleser, was es mit dem Magen, beziehungsweise dem Muskelmagen, auf sich hat. Der Muskelmagen ist nicht einfach nur ein zusätzlicher Magen, der die unverdaulichen Bestandteile unserer Beute, wie Knochen, Fell und Zähne, zu säuberlichen Bällchen zusammenpresst. Mitnichten! In diesem rätselhaftesten aller Organe haben unsere stärksten Gefühle und Instinkte ihren Sitz. Das ist aber noch nicht alles. Der Muskelmagen einer Eule kann sogenanntes Ga’ besitzen oder entwickeln – ein anderer Ausdruck für Charakterstärke. Doch obwohl es viele Eulen von einwandfreiem Charakter gibt, haben nur ganz wenige ein überragendes Ga’. H’rath beispielsweise war ein gütiger und großherziger König, aber war sein Ga’ überdurchschnittlich ausgeprägt? Schwer zu sagen. Damals war ich noch keiner Eule begegnet, die überragendes Ga’ besaß, und doch hat jede Eule die Anlagen dafür.
    Der Fluch der Hägsdämonen, der „Hägs-Ga’“, blockiert das Ga’ einer Eule und alle anderen segensreichen Eigenschaften des Muskelmagens. Er wird zu einem bloßen Verdauungsorgan. Auf diese Weise kann der Hägsdämon von der verfluchten Eule Besitz ergreifen und sie zu seiner willenlosen Sklavin machen. Äußerlich erscheinen die Betroffenen unverändert, ihre Persönlichkeit jedoch ist ausgelöscht. Sie sind dem Dämon wehrlos ausgeliefert.
    Auch die Glauxissin war äußerlich unverändert. Doch der Fluch hatte sie aller ihrer Grundsätze und Überzeugungen beraubt. Sie konnte nicht einmal mehr selbstständig denken.
    Myrrthe fiel noch etwas anders an der Glauxissin und ihren Mitschwestern auf. Ihre Mägen gaben sonderbare Geräusche von sich, als knirschten

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