Das Vermaechtnis

Neriglissar , der Mann von Nebukadnezars ältester Tochter, der bei der letzten Eroberung und Zerschlagung Jerusalems dabei war, könnte ein hoffnungsvoller Drahtzieher eines Verrats sein. Ein Verrat, welcher nicht als Verrat gezählt werden kann, denn wir wissen alle, wie Rosuran-Amel-Marduk ist. Ich bin nur Prophet und kein Beschwörungspriester, doch ich höre, wie sie tuscheln: ‚ Möge Marduk sein Leben nicht verlängern’ . Das ist noch harmlos. Neriglissar wird es auch nicht lange halten können. Er ist zwar ein ausgezeichneter Feldherr und wird sicher für Babylon erfolgreiche Schlachten schlagen. Allerdings er ist schon in einem Alter, wo man über einen plötzlichen Tod keine Verwunderung ausspricht. Sein Sohn ist noch jung und wird bis dahin auch nicht gelernt haben, wie man sich hier den Göttern gegenüber benimmt.
    Doch du weißt es, Priesterin Elieanor-Adda-Guppi , du bist deinem Gott Sin und den anderen Gottheiten, die ich nicht so kenne, immer treu gewesen und dein Mondgott Sin hat dich gehört und hört dich immer noch. Eines Tages, hab Geduld, wird er zurückkommen zu dir. Du ahnst es jetzt, was tief in dir erfleht wird, wird endlich eintreffen – dann ist der Weg frei für deinen Sohn Nabuna’id . Wenn du dich schon jetzt mehr im Palast aufhalten würdest, dann wärest du schon dort, um deinen Sohn, den künftigen König Babylons , in Empfang zu nehmen.
    Sag dies zu niemandem, was ich zu dir spreche, denn der Argwohn ist groß in diesem Lande. Ich bin einer, der im Exil hier lebt. Es steht mir eigentlich nicht zu, all diese gefährlichen Worte zu sprechen. Noch ist Nebukadnezar an der Macht. Das ist gut für Babylon und den Frieden im Land. Nicht nur als Prophet kann ich dir das sagen. Es sind die Beobachtungen im Palast. Du weißt, ich stehe in der Gunst des Babylonischen Königs Nebukadnezar , und die Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen und dem, was in den Gängen so getuschelt wird, sind das, was ich dir im Vertrauen berichte.
    Nicht ganz uneigennützig sind diese Beobachtungen. Ich habe Nebukadnezar sehr schätzen gelernt, das steht außer Zweifel. Doch ich werde nicht aufgeben, für meinen König aus Juda , König Jojachim, zu sprechen, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien. Ich weiß wohl, dass Nebukadnezar ihn nicht freilassen kann, denn allein wegen dieser Härte können die Judäer in Babylon noch mehr ihre eigene Freiheit leben. Dennoch erhoffe ich mir von einem Nachfolger Nebukadnezars die Freilassung Jojachims .
    Dieser König hatte sich selbst geopfert, um großes Blutvergießen in Jerusalem zu verhindern. Denn er merkte mit seinen erst 18 Jahren, dass die Auflehnung seines Vaters gegen den Tribut an Babylon ein folgenschwerer Fehler war, dem Jerusalem nicht gewachsen war. Sein Vater hatte sich von den Ägyptern zu blindem Mut bereden lassen, die ihm natürlich nicht zur Seite standen, wie sie es ihm immer wieder zugesagt hatten. Jojachim reagierte weise für sein jungendliches Alter. Er verhinderte damit, indem er zu Nebukadnezar ging, um sich ihm freiwillig mit seiner Mutter, seinen Frauen und seinen engsten Vertrauten zu unterwerfen, dass Jerusalem völlig zerstört wurde. Nur deshalb ließ Nebukadnezar vieles stehen, vor allem unser Heiligtum im Tempel von Salomo auf dem Berg Moria .“
    „Ja, ich hörte schon viel von eurem Tempel. Er soll sehr schön und sehr groß gewesen sein. Doch weißt du was, geschätzter Prophet Salana-Daniel , ich würde an dieser Stelle gern…“
    In diesem Moment wird Salana-Daniel von einem Mitglied der hiesigen israelischen Gemeinde freudig begrüßt. Salana-Daniel entschuldigt sich einen Augenblick bei Elieanor-Adda-Guppi , um ein paar Worte mit dem noch sehr jungen Mann zu wechseln. Es ist ein schöner Anblick, der alte weise Prophet mit dem jungen, begeisterten Mann, der mit feurigen und liebevollen Augen den Worten des Alten lauscht.
     
    Elieanor-Adda-Guppi muss an die beiden Gespräche heute denken, beide mit großen Sorgen um den König.
    Ja, ihr Entschluss steht fest: Sie wird in den Palast gehen und sich nun mehr um den König und sein Befinden kümmern. Ihr Gott Sin gibt ihr die Kraft und die nötige Rückenstärkung, die sie braucht. So sehr er sich auch bemühte, Rosuran-Amel-Marduk würde ihr nichts anhaben können. Alle Zeichen standen dafür.
    Auch wenn Rosuran-Amel-Marduk sich doch meist in seinem Tempel, dem prächtigsten Tempel des Landes, dem Tempel Äsagila des Maduk aufhält oder im Tempel auf der obersten Ebene