Das Vermaechtnis
Arbeiten übernehmen wie Männer. Wenn es nach mir ginge, könnten die stärkeren unter ihnen ebenso als Wächterinnen ausgebildet werden oder sogar mit den Männern in den Krieg ziehen. Sollen doch alle die Möglichkeit haben, offen und selbstverständlich, eine Partnerschaft wie mir es bei dir, Gimraios, zu sein scheint, zu führen, die eine tiefere geistige Beziehung beinhaltet und nicht allein der Kindererzeugung oder der Befriedigung der Lust dient.
In unserem Staat gehen allein die Jungen zur Schule und genießen eine umfangreiche Ausbildung. Es gibt nur wenige Möglichkeiten für Mädchen, sich über die ihnen angedachten häuslichen Aufgaben und die Webkunst noch weiter auszubilden.
Dabei kommt mir die sehr geschätzte Lyrikerin Salana-Sappho in den Sinn, die vor einiger Zeit in Mytilene auf der Insel Lesbos lebte. Nach ihrer Flucht unterrichtete sie junge Frauen in Poesie, Philosophie, Musik, Gesang und Tanz. Mit ihnen zusammen soll sie auf Festen zu Ehren der Götter aufgetreten sein.
Tanobakt-Platon Ich nenne sie stets die 10. der Musen.
Salana-Gorgias „…Eros schüttelt mir die Sinne wie ein Wind, der vom Berg in einen Baum fällt.“ [37] – Das ist die Kraft der Frauen, das Gefühl in Worte zu verweben. Oder dieses Gedicht schlüpft mir gerade in den Sinn:
„So, wie der süße Apfel sich rötet am hohen Zweig,
hoch an der höchsten Spitze, vergessen haben ihn die Pflücker.
Nicht vergessen, sondern sie konnten ihn nicht erreichen.“ [38]
Tanobakt-Platon Sonnig war ihr Gemüt und durchaus tiefgründig. „Wer schön ist, ist schön nur solange man ihn sieht; wer aber gut ist, wird sogleich auch schön sein.“ [39]
Salana-Gorgias „Die Sterne rund um den schönen Mond
verbergen schnell ihre helle Gestalt,
wenn er sich füllt und am meisten beleuchtet
die Erde.“ [40]
Tanobakt-Platon Es scheint als sei sie durch ihre liebenswürdige, heitere, freie, fröhliche und ausgelassene Art, welches man von ihr erzählt und was sehrwohl in ihren Gedichten und Liedern zum Ausdruck kommt, eher dem Gegenteil von Vernunft zuzuordnen. An ihrem zudem anmutigen, würdevollen und besonnenen Wesen, was zudem von ihr berichtet wird, und dem, was sie aufgebaut und vertreten hat, vor allem das Wie, erkennt man hingegen sehr deutlich eine vernunftbetonte Linie. Dies wird in der Klarheit und Ausdrucksstärke ihrer Sprache sichtbar. Mit Recht zählte sie zu den großen Vorbildern in der Lyrik!
Gimraios Was ich hier in Athen von ihr höre, klingt eher nach Hohn.
Tanobakt-Platon Das verwundert mich nicht, denn wie halten die Athener es mit ihren Frauen – sie leben zurückgezogen im Haus und kümmern sich um Haushalt und Personal. Entrüstet wären sie, wenn man die Wahrheit öffentlich dulden würde. Entrüstet wären dann die Männer dieser Stadt, denn von der Wahrheit halten sie nicht viel, wie wir wissen. Dass Männer sich mit Schülern und jungen Männern umgeben, ist gesellschaftlich anerkannt. Ich kenne einige, die es mit der Liebe zu den jungen Männern nicht nur auf der Ebene der Gedanken belassen, wie es unter Lehrern und Schülern so üblich ist, sondern sie sehen die Liebe vollkommen samt der körperlichen.
Bei Salana-Sappho wird wieder einmal der wahre Ruf eines großen Geistes von Unwissenden zerstört!
Salana-Gorgias Ihre Lyrik ist leidenschaftlich und hingebungsvoll und eben diese Sprache der Liebe ist den vornehmen Athenern nicht sittsam genug. Sie erhitzen sich darüber, wenn Salana-Sappho ungeniert zitiert wird. Ganz ehrlich, was spricht denn dagegen, dass sie es als ihre Aufgabe angesehen hatte, sich um eine vorbildliche Erziehung von Mädchen zu kümmern. Im Kult der Aphrodite , der Göttin der Liebe und Schönheit, entsprossen einst ehrenwerte Frauengesellschaften. Edle und gebildete Frauen umgaben sich gern mit den vielversprechenden anmutigen Talenten aus Salana-Sapphos Schule. Von Generation zu Generation gaben sie ihr Wissen weiter. Voller Hochachtung kann ich sagen, dass dies wahrhaft freie Frauen waren, die ein eigenständiges und unabhängiges Leben führten. Man schätzte damals ihren geselligen Charakter im Denken und im Handeln, und das in aller Öffentlichkeit. In Athen kenne ich heutzutage keine freie Frau mehr, außer den Göttinnen, die gehuldigt werden.
Gimraios Meine Frau nenne ich eine freie Frau.
Salana-Gorgias Lebt sie denn aus freiem Willen so, wie sie es möchte, oder lebt sie so, wie es dein Wille ist, von dem du meinst, dass sie frei ist? Beim Laufen ist sie
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