Das Vermaechtnis
als je zuvor. Ansonsten sah er aus wie sie ihn kannte, mit seinen feinen weißen Haaren und seinem dünnen Bärtchen, seiner sonnengegerbten Haut, die verriet, dass er viel draußen war. Er schlief sogar draußen, im Tempel draußen.
Innana hatte sie beide erhört. Innana hatte ihr geholfen. Und für Innana baute sie alles wieder auf. Als Dank. Für ihrer beider Leben.
Heute endlich konnte der gewohnte Ablauf weitergehen, fast als wäre nichts geschehen; fast, mit einigen kleinen Änderungen.
Nun steht Encheduanna-Kyr hier am Kiang ihres Vaters,gereinigt und frisch gekleidet, ohne die leiseste Spur ihrer Erlebnisse aus den letzten Wochen. Ihre wollene, fein gewebte Priesterinnenrobe… Schön und stolz und rein.
Sie erhebt die Arme gen Himmel und betet:
„Mein Vater, Großer König Rosuran-Sargon , in den Himmel aufgestiegener Gott, göttlicher König, Schöpfer des Großreiches von Akkad mit Sumer . Du erobertest die Welt zwischen dem oberen und dem unteren Meer. Du besiegtest das obere Land, wo der Gott Dagon dir den Zugang zu den Schätzen von Mari , Ebla und Jarmuti bis zum Zedernwald mit seinem kostbaren Holz und dem Silberberg erlaubte. Mehr als 50 Ensi hattest du unterworfen, sie, die großen Statthalter der Stadtgottheiten, die obersten Priester, so wie ich.Ein größeres Reich hatte es bis dahin noch nie gegeben. Du hattest die Kontrolle über Gebiete mit den wichtigsten Bodenschätzen und Handelsrouten entlang der großen Flüsse Euphrat und Tigris. Du bautest eine prächtige Stadt aus dem Nichts, Akkad , und diese Stadt wurde zum Zentrum deines Reiches, und in ihrem Zentrum bautest du den Tempel für Innana , denn sie liebte dich.
Groß waren deine Ziele, groß dein Erfolg, lange regiertest du, und immer warst du unterwegs, um Aufstände niederzuschlagen. Die Grenzen deines Reiches dehnten sich immer weiter aus. Unermesslich lang waren sie, schwer zu bewachen und zu kontrollieren. Gewaltig war der Weg, sie zu vereinen, zu einem Reich zusammenzuführen, die vielen Völker. Du hast sie alle vereint! Nicht immer war deine Idee willkommen und kaum war eine Schlacht geschlagen, musstest du weiterziehen, um am anderen Ende unseres Reiches neue Aufstände zu zerschlagen und Unmut einzudämmen.
Allein durch dich übernahmen sie Kleidung, Bewaffnung und auch deine Kriegstechnik. Akkad , dein Großreich, mit dir als einzigem Herrscher, einem Gott-König. Viele Beamte hattest du unter dir, um das Land zu verwalten. Manche Regeln hattest du übernommen, viele kamen durch dich dazu. Es galt dein Gesetz für unser Zusammenleben mit diesen verschiedenen, neuen Menschen in unserem Land. Du hast unsere Kulturen zu einer erhabenen großen Kultur vereint.
Wir übernahmen die Schrift der Sumerer , die nun zu unserem Reich gehörten. Alle Gesetze wurden auf Tontafeln geschrieben. Wir hatten eine Schrift und eine Sprache. Unsere akkadische Sprache [5] wurde bald überall gesprochen, einheitlich. Somit konnten wir einen geregelten und überaus erfolgreichen Fernhandel und vor allem auch Seehandel betreiben mit Ländern wie Ägypten und Indien. Streng warst du. Für dein großes Ziel kämpftest du wie ein Löwe, unermüdlich und stark. Selbst die Löwen hast du bezwungen auf deinen Jagden.
Deine Stärke hast du mir mitgegeben mit deinem Blut, so konnte ich das letzte halbe Jahr überstehen. Mit einem eisernen Willen und der Kraft im Rücken, nicht zu zerbrechen, trotz der Schmach, die man mir angetan hatte. Schwäche zeigte ich nur in einem einzigen Moment, als ich meinen eigenen Eingebungen nicht mehr traute.
Daher befragte ich einen Wahrsagepriester, wie du es stets hieltest vor all deinen Feldzügen, doch wie konnte ich nur… Er opferte ein Lamm, bereitete die Leber in der Nacht vor und las aus den Eindrücken in der Leber in der Morgendämmerung meine Zukunft. Trotz der Löcher in der rechten Seite der Leber zeigte er über die Leber und erzählte mir ganz ruhig, dass ich nichts zu befürchten hätte, dass alles besser aussehen würde als bisher und dass meine Persönlichkeit noch stärker werden würde, da ich mich durch nichts entmutigen ließe und stets nach vorn schaute. Keine Warnung vor einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr, allein die Tatsache, dass ich eine Unsicherheit in mir spürte, war für mich das Warnzeichen, das ich selbst nicht erkannt hatte oder vielleicht nicht wahrhaben wollte.
Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, er ging auch nicht nach den vorgegebenen Regeln vor, wie es sonst
Weitere Kostenlose Bücher