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Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
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den anmaßenden Machenschaften Ushlaran-Lugal-Anes Einhalt zu gebieten. Er hatte tatenlos zugesehen. Er unterstützte damit Ushlaran-Lugal-Ane in seinem Wahnsinn, seiner Machtbesessenheit, und wandte sich gegen sie.
    Und sie – sie wandte sich ab von ihm, von dem Mondgott.
    In ihrem Exil, weit draußen in der Wüste, erflehte sie in endlosen Gebeten die Hilfe Innanas , der Göttin der Liebe und des Krieges, in diesem Streit nach Recht und Gerechtigkeit zu entscheiden und ein endgültiges Urteil zu fällen. Sie schrieb eine einzigartige Hymne an die Götter, an die Menschen, an Innana .
    So kam die Wende: Elieanor-Naram-Sin , ihr Neffe, schlug die Revolte des wahnsinnigen Ushlaran-Lugal-Ane nieder und sie, Encheduanna-Kyr , die Entu-Priesterin , durfte wieder zurückkehren, zurück nach Ur , zurück in ihr Amt. Die Tür des Himmels hatte sich für sie wieder geöffnet. Die Götter hießen sie wieder willkommen.
    Encheduanna-Kyr hatte es geschafft, die große Göttin Innana , ihre große Schutzgöttin, mit ihren Hymnen zu überzeugen, mit ihrem Wort und vielen Kulthandlungen ausschließlich ihr zu Ehren. Mit diesem eisernen Willen drängte sie Innana , das Urteil des Himmelsgottes An zu bewahrheiten und damit das Urteil Nannas zu revidieren. Alle Revoltierenden sollten vernichtet werden. Ushlaran-Lugal-Ane wurde mit dem Tode bestraft, der Kahlköpfige wurde geköpft; allein das Vergehen an ihr war schwerwiegend, denn sie war als Entu-Priesterin die heilige Ehefrau des Gottes, die geachtet und geehrt werden musste. Mondgott Nanna wurde aufgefordert, die Herrschaft Innanas anzuerkennen, sodass durch die Versöhnung der beiden Götter – die Versöhnung von Nanna und Innana – Innana in ihrer Stadt Ur wieder anerkannt war. Das göttliche Gleichgewicht war wiederhergestellt. Im Himmel und auf Erden.
     
     
    Nun ist Encheduanna-Kyr wieder zurück und bald, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, würde sie anfangen, das alles zu verarbeiten. Sie hat ihre Harfe. Sie hat ihre Stimme. Sie hat kraftvolle und wirkungsvolle Worte. Und sie hat die Position, die es ihr erlaubt, dies alles auszudrücken, fast alles. Das würde sie tun.
    Unweit des Tempels bei den Königsgräbern steht Encheduanna-Kyr vor der Grabanlage ihres Vaters, dem Kiang, wie sie sagen, dem Ort, an dem man die Toten trinken lässt , vor dessen in Dorit gehauenem Bildwerk. An dem sehr harten Gestein Dorit hatte der Steinbildhauer ganze Arbeit geleistet und eine nahezu naturnahe Abbildung ihres Vaters Rosuran-Sargon geschaffen. Nicht wie früher in schlichten Formen war er gehauen. Seine Augen, die geschwungenen Augenbrauen, seine fast grüblerisch wirkende Stirn, seine markante Nase und sein hoheitlich gelockter Bart waren wesentlich feiner umgesetzt.
    Sein Gesicht wie auch seine ganze Haltung gewannen dadurch deutlich mehr an Ausdruck. Fein ausgearbeitet war sein langes Obergewand, das über die linke Schulter fiel, teils an den Rändern mit Quasten verziert. Die rechte muskulöse Schulter blieb frei, denn das Gewand wurde wie ein Rock getragen, dessen Ansatz kurz unterhalb der Brust mit einer Borte verziert war. So steht ihr Vater fast in Lebensgröße vor ihr, Rosuran-Sargon , der einstige Gott-König des großen Reiches von Akkad und Sumer .
    Zwischen ihnen steht ein Opferaltar, auf welchen sie nun ihre Opfergaben darbringt. In eine Schale füllt sie Wasser als Trankopfer. In eine breite Schale mit Sand und glühendem Schilfrohr gibt sie Myrrhe und Weihrauch hinein. Sie wartet einen Augenblick, bis der würzig-herbe Geruch die Luft erfüllt.
    In einem Monat schon beginnt das neue Jahr und am Abend vor dem Neujahrsfest, dem Akitu-Fest [4] , dem Fest der Gerstenaussaat, würde sie das große Opfer-Ritual vollziehen. Dann wird sie wieder hier sein und das rituelle Trankopfer darbieten. Dafür war bereits vertikal eine Röhre in das Grab eingelassen, die der Aufnahme des Trankopfers diente. Dann würde sie ihm neben Wasser auch Gerstenbier bringen.
    Das Trankopfer war die wichtigste Gabe für die Toten, denn sie gingen davon aus, dass es kein frisches Wasser im tristen und freudlosen Jenseits gab, dem Haus des Staubes , wie sie die trockene, staubige und dornige Unterwelt auch bezeichneten. Die Toten mit ihrem Totendurst waren angewiesen auf die rituellen Spenden zu ihrem Andenken.
    Es ist Morgen und die rituellen Morgenopfer, die täglich frischen Blumen- und Trankopfer an ihre Schutzgöttin Innana, der Göttin der Liebe und des Krieges, und auch an Schamasch ,

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