Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermaechtnis

Das Vermaechtnis

Titel: Das Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Scherer-Kern
Vom Netzwerk:
ganz genau vor mir sehen. Wenn ich erzähle, sehe ich nur diese Striche… Manchmal füge ich ein paar Bildchen ein, wie man früher geschrieben hatte oder wie manche es heute noch tun, damit alles etwas schöner aussieht und das Lesen mehr Spaß macht.“
    „Ja, es ist eine schöne Idee, dies zu kombinieren. Aber halte dich zunächst an die Anweisungen deines Schriftlehrers. Wenn du mit den Aufgaben fertig bist, dann hast du Raum für deine eigenen Ausformulierungen und Gestaltungen.“
    „Ich habe auch schon kleine Objekte geformt und sie mit farbigen Steinchen vom Flussufer verziert. Wenn du das nächste Mal Harfe spielst und singst, dann werde ich dazu tanzen. Ich glaube, ich kann ganz viel, nur singen kann ich nicht, aber zur Musik bewegen, das mache ich sehr gern.“
    Wie eine Feder bewegt sie sich einmal um die Säule. So leicht, so unbeschwert.
    Sie lachen alle.
    „Du bist eine wahre Künstlerin!“, sagt Sa-La-Na bewundernd.
    „Künstlerin, hm. Mögen Künstler auch Zahlen? Ich liebe auch Zahlen. Ich habe auch schon viele geschrieben und mit ihnen gerechnet, schneller als die Jungen. Alles dreht sich um die 60. Hoch und runter, rückwärts und vorwärts. Bald darf ich auch mit den Umrechnungs-Tafeln arbeiten, damit ich noch mehr ausrechnen kann. Wenn ich etwas planen will, dann muss ich es auch genau ausrechnen können, damit alles so umgesetzt werden kann, wie ich es mir vorstelle. Ach, und die Sterne will ich auch beobachten, am besten vom Dach des Tempels, vom höchsten Punkt, den ich kenne…“, sagt sie schwärmerisch.
    „Das ist unglaublich, so viele Begabungen stecken in dir. Da weiß man ja gar nicht, welche Berufung nun die richtige für dich sein soll!“, sagt Encheduanna-Kyr bewundernd.
    „Ich will Priesterin werden. Ich will nicht zurück zu meinem Vater. Ich finde es schrecklich, was er tut! Hier habe ich dann mein eigenes Reich, meine eigene Familie, so wie du, Encheduanna-Kyr . So wie du! Und der Mondgott Nanna wird mein Gemahl, sonst niemand. So, wie er dein Gemahl ist, so will auch ich ihm mein Leben lang dienen und ihn lieben. Und Innana und An und Schamasch und Ningal . Und all die Priester und Priesterinnen, alle sind meine Familie.“
    „Deine Entscheidung freut mich sehr, aber du hast noch etwas Zeit, dir ganz sicher zu sein. Der menschlichen Liebe zu entsagen ist eine schwere Bürde und eine lebenslange Prüfung vor den Augen der Götter. Nun schreib noch ein wenig, bald ist der Unterricht zu Ende und Zeit zu essen. Hanash-Kera wird dir ein Schälchen Milch geben für deine kleine Katze. Die Nacht bricht schon bald an.“
    Noch einmal schließt Aleyh-Ana beide, Sa-La-Na und Encheduanna-Kyr , in die Arme und setzt sich dann wieder zu den anderen auf die Erde.
     
     
    Sa-La-Na und Encheduanna-Kyr gehen Seite an Seite langsam durch den Säulengang, durch einen kleinen Hausdurchgang, wieder durch einen Säulengang, am Garten vorbei, durch das Tor auf den Tempelvorplatz, über den großen Tempelvorplatz durch das große Tor und noch ein Stück. Dann bleiben sie stehen, gegenüber und sehen sich an.
    „Sie hat Augen wie du, die gleiche Form, ihre sind nur grün. Die gleiche Form der Augenbrauen.“
    Er sieht ihr tief in die Augen. Sie erwidert seinen Blick. Freude und Stolz, tiefste Trauer und auf ewig unerfüllte Sehnsucht spiegeln sich in ihnen. In den Augen von beiden.
    „Sie hat an ihrem Hals hinten ein kleines mondförmiges Muttermal. So wie du“, sagt Encheduanna-Kyr zu Sa-La-Na . „Ich hatte es bis jetzt noch nicht bei ihr bemerkt, daher konnte ich nicht ahnen… Damals, als Baby, für kurze Zeit sah ich ihr wunderschönes Mal…“
    Lange sehen sie sich an.
    Sa-La-Na nimmt einen tiefen entschiedenen Atemzug und sagt: „Es zerreißt mich zu gehen, doch es zerreißt mich noch mehr zu bleiben und dennoch nicht bei euch bleiben zu können. Ich gehe und nehme diesen Tag mit, diese Momente mit, die mich mit unermesslicher Liebe und Stolz erfüllen. Du wirst mich verstehen. Wenn du erlaubst, werde ich in längeren Abständen vorbeischauen, um neue Geschichten zu erzählen, und um vielleicht einen kurzen Blick auf unsere Tochter zu werfen. Frieden kehrt ein, denn die Ungewissheit ist verschwunden. Ich weiß, ihr beide lebt, und es wird für euch gut gesorgt. Es ist ein Geschenk des Himmels, das kostbarste Geschenk der Erde, das ich mir je erhofft habe! Die Götter lieben uns auf ihre eigene Art und Weise.“
    Dann geht Encheduanna-Kyr einen Schritt zurück und löst sich. Als

Weitere Kostenlose Bücher