Das Vermaechtnis

würde sie von einer langen Reise zurückkehren, kommt sie wieder an im Hier und Jetzt.
    „Die Götter haben uns eine harte Aufgabe auferlegt. Jeder hat sein Los zu tragen. Doch ebenso bin ich froh und erleichtert, dass all meine Gebete von Innana , meiner großen Schutzgöttin, erhört wurden und ich diesen wundervollen Tag erleben darf. Unsere unerfüllte Liebe hat ihre Erfüllung gefunden – in Aleyh-Ana . Welch ein Glück! So wurde es entschieden. So sei es. Geh nun weiter, mein geliebter Geschichtenerzähler, mein geliebter Sa-La-Na . Du bist frei, und ich, ich bin verheiratet mit Nanna , dem ich den Rücken zugewendet habe. Mit seiner Versöhnung mit Innana habe auch ich wieder angefangen, mich mit ihm zu versöhnen. Ich bin nicht frei. Ich kann hier nicht weg. Ich habe mich vor langer Zeit entschieden, bevor wir uns kannten. Da Aleyh-Ana hier ist, ist es wichtiger denn je, dass ich hier bin und mein Bestes gebe.
    Ich bin hier in der Familie der Götter und lebe für die große Schutzgöttin Innana , die mir gezeigt hat, wie ich aus meinem Leben einen Sinn wandeln kann. Du bist noch nicht zu alt, vielleicht findest du noch eine liebe Erfüllung. Ich wünsche es dir so von ganzem Herzen, denn wenn du leidest, leide ich noch mehr, wenn du aber glücklich bist, wird Frieden bei mir einkehren. Ich habe das Glück, dass ich unsere Tochter ganz nah habe und ihr vieles mitgeben kann, was ich als direkte Mutter ihr gar nicht hätte geben können. Priesterschülerinnen werden von ihren Familien getrennt unter der Obhut der Götter erzogen.
    So sind unsere Gesetze.
    Danke, dass du zu mir gekommen bist. Heute, gerade heute! So sollte es sein! Die Götter haben uns für kurze Zeit zusammengeführt, unsere kleine Familie, der größte Schatz von Himmel und Erde! Dies ist der bedeutendste Tag in meinem Leben! Danke, dass du dir um meinetwegen Sorgen gemacht hast. Danke für diesen Tag! Auch ich schöpfe aus diesem Tag die Kraft für mein weiteres Leben, jeden Tag von neuem werde ich an diesen Tag denken… Und an dich, jeden Tag!“
    Sie nimmt einen tiefen Atemzug, ihre Augen küssen ihn ein letztes Mal, dann dreht sie sich um und geht zurück in den Tempel. Vorbei an einem wundervollen Blumenstrauß, einem üppigen Blumenarrangement am Eingang zum Tempel.
     
    Sa-La-Na geht langsam an den Hafen. Wie betäubt. Langsam, sehr langsam kommen seine Sinne wieder, nimmt er die Geräusche um sich wahr, Kinderstimmen, rufende Frauen, lachende Männer. Irgendwo erklingt Musik, die Gerüche von Feuer, Gewürzen und Gebratenem. Er sieht in den roten Abendhimmel, der die vielen Lehmhäuser in ebenso rotes Abendlicht hüllen. Die Tränen hält er zurück, zu stark ist der Schmerz von unfassbarem Glück und tiefer Trauer. Er weiß es, er muss erst einmal weg von hier. Er wendet sich in Richtung Stadtrand, geht durch das Stadttor im Westen, den Blick auf den Horizont gerichtet. Dort erwartet ihn die Wüste. Lange Tage und Nächte nur Sand und Stein. Irgendwo in der Ferne wird die Siedlung kommen, die Siedlung der Aussätzigen.
    Dorthin zieht es ihn, das fühlt er. Er will die Unbekannte finden und ihr danken. Die unbekannte Frau namens Sho-oi , die seine große Liebe geheilt hatte. Vielleicht könnte er dieser Unbekannten helfen, denn von manchen Kräutern verstand er etwas. Er könnte auch diesen armen Menschen dort das Leben erleichtern mit seinen Geschichten. Das ist so eine kleine Idee. Oder er konnte dort auf andere Art und Weise seine Geschicke einsetzen. Er brauchte einen Sinn, und das gab ihm vielleicht einen Sinn.
    Vielleicht fand er dort sogar einen Schreibkundigen, dem er seine Geschichten vorsprechen konnte, sodass sie verewigt würden. Nach seinem Tod, so würde er es veranlassen, sollten dann alle Tontafeln an seine Tochter geschickt werden, an Aleyh-Ana , die künftige Entu-Priesterin.
    Weit in der Ferne, am Ende des Wüstensandes, am Horizont, sieht er Rauch. Das ist die Richtung, in die es ihn zieht.
     
     
     
     

[2Ä  TAMERI]
    Götterhimmel, Millionen Mal erprobt
     
    Rollen der Hauptfiguren in diesem Kapitel
    [Salana]1. Salana-Imhotep – Priester und Erzieher von Hatschepsut
2. Priester am Tempel von Burgon-Amenhotep III
    [Choi] 1. Choi-Nehesj – Gesandter Hatschepsuts für die Punt-Expedition
2. Ch oi-Echnaton – (erst: Choi-Amenhotep IV, dann eigene Umbenennung) 10. Pharao der 18.Dynastie, zweiter Sohn von Burgon-Amenhotep III
    [Aleyna] 1. Aleyna-Satrê – Amme und Dienerin von Hatschepsut
    2. Aleyna –