Das Vermächtnis der Eszter
nicht einmal unfreundlich.
»So, Lajos, da bist du also«, hatte er gesagt, und sie hatten sich die Hand gegeben.
Das war alles, und Lajos hatte verlegen gelacht. Er hätte ungehemmter vorgehen können, wenn die ersten Minuten des Wiedersehens keinen Augenzeugen gehabt hätten. Aber schließlich hatte er selbst Endre gerufen, mit einem eingeschriebenen Expreßbrief. Endre war gekommen, den Brief in der Tasche, und stand nun dick und ruhig mitten im Garten und hörte Lajos zu, wohlwollend und ohne Überheblichkeit, aber seiner selbst so sicher, daß er sich zu schämen schien, seine Überlegenheit auszunutzen, denn ein Blick, ein erhobener Zeigefinger hätten genügt, und Lajos hätte sofort den Mund gehalten, hätte sich verzogen, und die Vorstellung wäre zu Ende gewesen. Und doch konnte Lajos auf diesen unbequemen Zeugen anscheinend nicht verzichten. Hatte er sich nach langem Hin und Her endlich entschlossen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen? Denn für Lajos war immer Endre die Wahrheit gewesen, der nicht zu umgehende Richter und Zeuge, der unbarmherzige Widerstand, an dem sein Hokuspokus abprallte. Hatte er sich gesagt: »Bringen wir’s hinter uns«? Jedenfalls schaute er mit einem solchen Blick auf den alternden Endre.
Endre war erst in den letzten drei, vier Jahren gealtert. Das Schwere und Schwerfällige in seinem Wesen, der rätselhafte Widerstand, mit dem er die Menschen von sich fernhielt, eine priesterliche Distanziertheit und das kritische Schweigen – die Eigenschaften, die ihn schon in der Jugend gekennzeichnet hatten – waren seit einigen Jahren zu einem Hindernis geworden, an dem sich jeder stieß, der mit ihm in Kontakt treten wollte. Er war nicht gerade unfreundlich, nur hatte man in seiner Gesellschaft immer das Gefühl, er wisse etwas Unanständiges von der Welt und wolle dieses Wissen für sich behalten. Seine Güte war schwerfällig, ängstlich und unbeholfen.
Auch jetzt blickte er auf Lajos, als wisse er alles, wobei es ihm überhaupt nicht in den Sinn kam, ihn zu verurteilen – oder zu begnadigen. Das »So, Lajos«, mit dem er ihn nach zwanzig Jahren begrüßt hatte, war nicht herablassend, auch nicht hochmütig oder streng, und doch spürte ich, daß Lajos unsicher geworden war: Er begann um sich zu blicken, zu fuchteln, sich mit dem Taschentuch die Stirn abzutrocknen. So waren die Rollen verteilt, als sie ihr Gespräch begannen, über die Ernte, glaube ich, oder die Politik. Dann zuckte Endre mit den Schultern, als hätte er genug gesehen und gehört, und setzte sich auf die Steinbank, wobei er mit einer Altmännergebärde die Hände über dem Bauch verschränkte. Bis zum späten Nachmittag dieses Tages, da er das Dokument verfaßte, mit dem ich Lajos zum Verkauf des Hauses ermächtigte, sprach er kein Wort mehr mit dem Gast.
Selbstverständlich wußten wir alle, daß Lajos auf mein Leben, besser: auf Nunus Leben und die Ruhe meiner letzten Jahre einen Anschlag vorhatte. Das Haus ragte hinter uns in die Höhe, von der Zeit ein bißchen mitgenommen, aber immerhin noch ganz imposant; das Haus, der letzte Wertgegenstand, den Lajos noch nicht weggenommen hatte, und jetzt war er gekommen, es sich zu holen. Im Augenblick, da ich Lajos’ Telegramm erhalten hatte, wußte ich, daß er wegen des Hauses kam. So etwas denkt man nicht ausdrücklich und weiß es doch. Nur versuchte ich, mir etwas vorzumachen. Aber auch Endre wußte es, und Tibor auch. Später staunten wir alle, daß wir uns Lajos so kraft- und widerstandslos ergeben hatten – und beruhigten uns damit, daß es im Leben keine halben Lösungen gibt, daß früher einmal, fünfzehn Jahre zuvor, etwas begonnen hatte, das man jetzt abschließen mußte. Das wußte auch Lajos. Er stellte fest, daß das Haus ein bißchen feucht war, und dann redete er gleich von etwas anderem, als hätte er das Wesentliche erledigt, als wollte er keine Zeit mit Einzelheiten verlieren. Tibor und Laci standen neugierig neben ihm. Etwas später, vor dem Mittagessen, erschien ein Schneider, der ehemalige Schneider von Lajos, und überreichte ihm unter verlegenen Verbeugungen eine fünfundzwanzig Jahre alte Rechnung. Lajos umarmte ihn und schickte ihn weg. Die Herren tranken Absinth, redeten laut und lachten viel über Lajos’ Anekdoten. Wir waren strahlender Laune, als wir uns an den Mittagstisch setzten.
12
Ich verstand nur nicht, was die fremde Frau da sollte. Lajos’ Geliebte konnte sie nicht sein, sie war zu alt und stellte zuwenig vor. Es brauchte
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