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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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gleichgültig gewesen. Er ist da, er ist gekommen, auch das gehört zum seltsamen Programm des Lebens, er will etwas, er führt etwas im Schild, doch dann geht er wieder weg, und wir leben weiter wie bisher. Er hat keine Macht mehr über mich! So fühlte ich und blickte selbstsicher und hochmütig auf ihn. Er hat keine Macht mehr über mich, nicht im alten, gefühlvollen Sinn. Doch gleichzeitig wurde mir bewußt, daß die Aufregung, die mich während des ersten Gesprächs ergriffen hatte, allem glich, nur nicht der Gleichgültigkeit; es wurde mir bewußt, daß die Feindseligkeit, mit der ich zu Lajos sprach, das Zeichen einer Beziehung war, die allerdings nichts Romantisches und Schwärmerisches hatte und nicht ins Mondlicht des Erinnerns getaucht war. Es ging um die Wahrheit. Und nach so viel blauem Dunst schien es dringend, daß an der Wahrheit festgehalten wurde.
    Und so sagte ich rasch und ohne auf meine Worte zu achten: »Du kannst mir nichts geben. Du hast alles weggenommen und kaputtgemacht.«
    Er antwortete, wie ich es erwartete: »Stimmt.«
    Und er sah mich mit seinen klaren grauen Augen ruhig an und starrte dann in die Luft. Er hatte das Wort auf kindliche Art gesagt, fast schon freudig, als hätte man ihn bei einem Examen gelobt. Mich schauderte es. Was war das für ein Mensch? Er war so ruhig. Jetzt blickte er sich im Garten um und sah dann wie ein Baumeister sachlich prüfend auf das Haus.
    Er schlug einen Konversationston an: »Dort, im oberen Zimmer, wo die Läden geschlossen sind, ist deine Mutter gestorben.«
    »Nein«, sagte ich verblüfft, »Mutter ist unten gestorben, im Wohnzimmer, das jetzt Nunu bewohnt.«
    »Interessant«, sagte er, »ich hatte es vergessen.«
    Dann warf er seine Zigarette fort, stand auf, spazierte zur Hauswand und betastete kopfschüttelnd den Mörtel. »Bißchen feucht«, sagte er zerstreut und mißbilligend.
    »Wir haben das Haus letztes Jahr verputzen lassen«, sagte ich, noch immer wie vor den Kopf gestoßen.
    Er kam zurück und blickte mir tief in die Augen. Sagte lange nichts. Wir starrten einander aus halb zusammengekniffenen Augen aufmerksam und neugierig an. Jetzt war sein Gesicht ernst und ehrfürchtig.
    »Eine Frage, Eszter«, sagte er leise und ernst. »Eine einzige Frage.«
    Ich machte die Augen zu, mir war heiß und schwindlig. Das Schwindelgefühl dauerte ein paar Sekunden. Ich hob abwehrend die Hand. Jetzt fragt er, dachte ich. Mein Gott, jetzt fragt er. Was? Warum das alles geschehen ist, vielleicht? Oder ob der Feigling ich gewesen bin? Jetzt heißt es antworten! Ich atmete tief ein und blickte ihn an, bereit, Rede zu stehen.
    »Kannst du mir sagen, Eszter«, fragte er leise und innig, »ob dieses Haus nach wie vor schuldenfrei ist?«

11

    Die Ereignisse des Vormittags, zumindest die, die auf diesen Satz folgten, sind in meiner Erinnerung einigermaßen verwischt. Onkel Endre trat zu uns. Lajos geriet aus dem Konzept und begann großspurig zu lügen. Er schien eine Angst überschreien zu wollen und begann gleich mit dem hohen C, mit künstlicher Gemütlichkeit und leerer Überheblichkeit, die bei Endre nicht verfingen. Es war der »Alter-Freund«-Ton, den Lajos anschlug; er packte Endre am Arm, gab lustige Geschichten zum Besten und benahm sich wie ein gerngesehener, vornehmer Gast in einem Haus, wo alles und alle ein bißchen unter seinem Rang stehen. Endre hörte ihm ruhig zu. Er ist der einzige Mensch auf der Welt, vor dem Lajos Angst hat und der gegen seine Zaubertricks immun ist, irgendwie von innen her gleichgültig gegenüber der magischen Ausstrahlung, die, wie Lajos glaubt, auf alles wirkt, auf Tier und Mensch und Dinge. Endre hörte ihm aufmerksam zu, wie einer, der die Tricks des Magiers, den versteckten Mechanismus hinter den Darbietungen kennt, der nicht staunt, wenn Lajos aus seinem Zylinder die Landesfahne hervorzaubert oder die Früchteschale plötzlich vom Eßtisch verschwinden läßt. Er blickte ihn fachkundig und interessiert an, ohne jegliche Bösartigkeit. Na, was kannst du noch? schien er zu fragen. Lajos machte zwischen den Nummern jeweils eine Pause und schielte ihn blinzelnd an.
    Ich sah, wie er sich abmühte; Tibor und Laci waren betört von der Schönheit der Vorstellung. Später am Nachmittag erfuhr ich, daß auch Éva die Verlegenheit ihres Vaters bemerkt hatte. Es war, als wüßte Endre um eine schlichte und unleugbare Wahrheit, mit der er Lajos jederzeit in die Enge treiben konnte. Aber er war überhaupt nicht höhnisch, ja,

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