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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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und der wirkliche Inhalt des Treffens hinter der unkritischen, dramatischen Stimmung des künstlichen Tableaus verborgen blieb. Und alle gehorchten, alle lächelten verlegen, auch Onkel Endre, der eine Aktentasche unter dem Arm trug, deren Inhalt wir nie kennenlernten und die er wahrscheinlich nur als Symbol und als Schutz mitgenommen hatte, womit er wiederum zeigte, daß er von sich aus nicht gekommen wäre und nur seine Pflicht tat. Und allen sah man an, daß sie sich sehr über Lajos freuten, daß sie entzückt waren, bei diesem Treffen dabeizusein. Ich hätte nicht gestaunt, wenn sich vor dem Gartenzaun eine kleine Menge versammelt und etwas gesungen hätte. Jedenfalls schwappte die ganze Aufregung über unseren Köpfen zusammen, und in dieser Stimmungsflut verwischten sich die Einzelheiten. Später, gegen Abend, als wir zur Besinnung kamen, blickten wir einander verwundert an, plötzlich entzauberte Augenzeugen der magischen Tricks eines indischen Fakirs. Der Fakir hatte ein Seil in die Höhe geworfen, war daran emporgeklettert und in den Wolken verschwunden. Wir blickten zum Himmel, denn dort suchten wir ihn – und sahen auf einmal verblüfft, daß er schon wieder hier vor uns, auf der Erde, seine Verbeugungen machte und mit dem Teller herumging.

10

    Nunu servierte das Gabelfrühstück, die Gäste nahmen auf der Veranda Platz und begannen, nervös zu essen. Alle spürten, daß die Mißstimmung nur dank Lajos’ Zauberei gebannt war. Alles, was er sagte, war ein Rollenspiel, und jede Stunde hatte einen künstlichen Inhalt. Erste Szene: »Das Essen«; später: »Besichtigung des Gartens«. Als guter Regisseur merkte Lajos, wenn eine Gruppe erlahmte, und er klatschte in die Hände und gab den Rhythmus an. Dann aber blieb er im Garten mit mir allein. Von der Veranda war Lacis Stimme zu hören, eine selbstvergessene, begeisterte Stimme, denn Laci war der erste gewesen, der sich ergeben, der seine Zweifel vergessen hatte, und jetzt schwelgte er selig in dem vertrauten Sonnenglanz, in der warmen Strömung von Lajos’ Gegenwart.
    Das erste Wort, mit dem sich Lajos an mich wandte, lautete so: »Jetzt bringen wir alles in Ordnung.«
    Mein Herz begann heftig und nervös zu klopfen. Ich sagte nichts. Ich stand ihm gegenüber, unter dem Baum, neben der Steinbank, auf der er mir so viel vorgelogen hatte, und zum ersten Mal sah ich ihn mir gut an.
    Etwas Trauriges war an ihm. Etwas von einem gealterten Photographen oder Politiker, der von den neuen Kniffen und Konzepten nichts mehr versteht und hartnäckig an seinen alten Kunstgriffen, seinen liebenswürdigen Taschenspielereien festhält. Und es war auch etwas von einem gealterten Tierbändiger an ihm, den die Bestien nicht mehr fürchten. Auch sein Anzug war so merkwürdig altmodisch: wie wenn einer trotzig mit der Mode Schritt zu halten versucht und doch von einem inneren Widerstand gehindert wird, so elegant und modisch gekleidet zu sein, wie es seiner Meinung nach schicklich ist und wie er es selbst gern wäre. Seine Krawatte, eine Spur greller, als es zu seinem Anzug, seiner Erscheinung und zur Jahreszeit paßte, war ein klein wenig abenteuerlich. Er trug einen hellen Anzug, einen der modischen, weiten Reiseanzüge, so wie in den Illustrierten die durchreisenden ausländischen Filmmagnaten. Alles an ihm, auch seine Schuhe und sein Hut, war irgendwie neu und wie zufällig zusammengesucht. Und in allem war eine Unbeholfenheit. Mir wurde das Herz schwer. Wäre er schäbig gekleidet, gebrochen und ohne Hoffnungen dahergekommen, wäre in mir diese billige Teilnahme nicht erwacht: Das ist eben sein Schicksal, hätte ich gedacht. Doch diese schamvolle, hoffnungslose Munterkeit erfüllte mich mit Mitleid. Ich sah ihn an, und er dauerte mich.
    »Setz dich, Lajos«, sagte ich. »Was willst du von mir?«
    Ich war ruhig und freundlich. Jetzt hatte ich keine Angst mehr vor ihm. Das ist ein Gescheiterter, dachte ich, und der Gedanke erfüllte mich nicht mit Befriedigung, ich fühlte nur das Mitleid, das tiefe, demütigende Bedauern. Es war, wie wenn man merkt, daß sich jemand die Haare färbt oder sonst etwas Unpassendes tut, und ich hätte ihn am liebsten gescholten, ihm die Gegenwart und die Vergangenheit vorgehalten, ernst, aber ohne besondere Strenge. Auf einmal fühlte ich mich viel älter und reifer; Lajos war auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung stehengeblieben, gealtert in einer aufgekratzten Jusstudenten-Patzigkeit, die nicht weiter gefährlich ist und – das ist

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