Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
mussten die Lehrlinge in den Kampf ziehen, doch der Schiffbau konnte so aufrechterhalten werden. Auch musste Navalia keine Abgaben leisten, einmal abgesehen von den Schiffen, die ab jetzt ausschließlich für den Krieg gebaut wurden. Wenn man Unterstützung sucht, muss man Zugeständnisse machen, hatte Logis einmal gesagt. Nun sah Julius die Wahrheit hinter diesen Worten.
Alles in allem war er froh, als sein Auftrag in Navalia beendet war und er sich wieder auf den Weg machen konnte. Und das tat er dann auch so früh wie möglich. Trotz der frühen Stunde stand sein Pferd schon gesattelt bereit, und kaum hatte er die unmittelbare Umgebung des Gildehauses verlassen, tauchte auch Larenia wie aus dem Nichts aus.
Auf diese Weise vergingen sechs Tage. Sie ritten entlang der Westküste in Richtung Ariana. Auf ihrem Weg stießen sie auf viele kleine Siedlungen, in denen Julius stets anhielt, zu den Menschen sprach und die Befehle des Königs weitergab. Nirgendwo begegnete man ihm mit der ausgeprägten Aggressivität, die er in Magiara erlebt hatte, im Gegenteil. Seine Nachrichten schienen die meisten Menschen mit Unverständnis, Angst und schließlich mit Mutlosigkeit zu erfüllen. Der Kampfgeist der Anorianer war schon vor dem ersten Angriff gebrochen, das sah auch Julius.
Zwei größere Städte lagen auf ihrem Weg. Die erste, an der Nordküste Aquaniens gelegene Stadt war Kiira. Sie lag an einer der zahlreichen Flussmündungen, allerdings etwas ins Landesinnere verschoben. Einst war sie ein wichtiger Stützpunkt der Elfen gewesen, ein Verbindungsstück zwischen dem Inselreich Cialla-Andra und dem Festland. Und bis heute erkannte man die Grundzüge der Architektur der Elfen. Heutzutage war Kiira von einfachen Bauern und Handwerkern bevölkert, die von einem der niederen Adligen regiert wurden. Da Kiira eine der wenigen befestigten Städte war, die seit jeher über eine Stadtwache verfügt hatte, reagierten die Menschen weniger verzweifelt. Tatsächlich nahmen sie Julius sogar freundlich auf.
Nach dem Aufenthalt in Kiira erschien Julius Soléa’na fern und entrückt, auf die gleiche Art märchenhaft wie Arida. Soléa’na war die Sommerresidenz der Fürsten von Aquanien, eine lebhafte und wohlhabende Kleinstadt, die der Stadt der Könige sehr ähnelte. Julius war oft hier gewesen, denn Soléa’na war nicht nur Residenzstadt, sie lag auch auf dem Weg nach Komar und nahe der Grenze zu Ariana. Die Menschen hier protestierten heftig. Dank der Sonderstellung Soléa’nas hatten sie Privilegien genossen, die ihnen nun mit einem Schlag entzogen wurden. Aber es gab keine Übergriffe, denn Julius hatte inzwischen gelernt, diplomatisch das Ende der Welt zu verkünden. (So hatte Elaine seine Mission beschrieben.)
Larenia verschwand, wann immer sie einen Ort erreichten, und tauchte auf, sobald sie weiterzogen. Dennoch hatte Julius manchmal das Gefühl, eine schattenhafte Gestalt zwischen seinen Zuhörern zu sehen.
Am siebten Tag nach Navalia verließen sie das Wiesen- und Hügelland und die Küste. Das Waldland, in das sie nun kamen, war wild und eigentümlich. Nur die Waldläufer kannten diesen Landstrich. Die Waldläufer und die Elfen.
Julius erzählt:
Ich kannte das Waldland kaum. Vor vielen Jahren, ich war vielleicht acht oder neun Jahre alt gewesen, hatte mich dieses Gebiet fasziniert. Allein die Tatsache, dass die Aquarianer ungern über den Wald sprachen, empfand ich als aufregend. Als so aufregend, dass ich begann, Ausflüge in jenen Landstrich zu unternehmen. Allerdings endete meine Abenteuerlust so schnell, wie sie begonnen hatte. Ich verirrte mich in den Wäldern. Tagelang suchte ich nach einem Ausweg, bis mich eine Gruppe Waldläufer fand und zurückbrachte. Seitdem mied ich dieses Gebiet. Es war ein sonderbarer Ort. Nicht feindselig oder gespenstisch, aber es gab hier eine Art von Macht, die wir Menschen nicht verstehen können. Eine Kraft, die der Aura des Zauberturms gleicht oder der Magie der Gilde der Zauberer. Tatsächlich war das Waldland die Grenze zwischen Anoria und dem Elfenreich, eine Grenze, die, so behauptete Larenia, noch immer gut geschützt war. Und nach dem, was ich hier erlebt hatte und noch erfahren sollte, hatte ich keinen Grund, daran zu zweifeln.
Skayé, der Ort, zu dem wir unterwegs waren, lag am Fuß des Gebirges im Herzen des Waldes. Ich kannte die Stadt nicht, obwohl man mir erzählt hatte, dass hier die Waldläufer lebten. Sie waren vielleicht die einzigen Menschen, die das
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