Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
verbracht und war dort meiner ersten großen Liebe begegnet. Ihr Name war Elaine. Sie war Logis’ Tochter und natürlich hatte ich sie nicht zum ersten Mal gesehen. Als einziges Kind eines Fürsten war sie oft in Arida gewesen, aber sie war ein paar Jahre jünger als ich, sodass ich ihr nie besondere Beachtung geschenkt hatte. Denn damals hatte ich nur Augen für Larenia, die Gildeherrin …
Aber im vergangenen Sommer hatte ich Elaine besser kennengelernt. Sie hatte den messerscharfen, logisch arbeitenden Verstand ihres Vaters geerbt, doch verbarg sie dies oft hinter Charme und Unschuld. Sie war das liebenswürdigste und sanftmütigste Wesen, dem ich je begegnet war, jedoch versteckte sich hinter alldem eine erstaunliche Zielstrebigkeit. Nebenbei bemerkt war sie auch sehr schön. Sie hatte hellblondes, langes Haar, strahlende blaue Augen, die den Arianern eigene feingliedrige Gestalt und ein hinreißendes Lächeln. Es erstaunte mich immer wieder, dass mir all das früher nie aufgefallen war.
Allerdings gab es nicht nur Sonnenschein in meinem Leben. Eines dieser weniger schönen Dinge und der Grund, warum ich so viel Zeit wie möglich außerhalb von Arida verbrachte, waren die ständigen Spannungen zwischen meinen Eltern. Ich wusste, dass ihre Heirat nur ein besseres Bündnis gewesen war und dass Julien und Patricia ansonsten wenig verband. Früher hatten mich ihre hitzigen Auseinandersetzungen und das darauf folgende eisige Schweigen erschreckt. Doch nie hätte ich geahnt, was daraus noch werden sollte.
Eine andere, schwerwiegendere Bedrohung, die dennoch untrennbar mit dem ewigen Konflikt zwischen meinen Eltern verbunden war, bewegte sich auf uns zu. Eine Bedrohung, der wir naiv und nichts ahnend gegenüberstanden.
Das Jahr hatte mit einem milden Winter begonnen, auf den ein vielversprechender Frühling folgte. Dies war wichtig für mein Volk, das überwiegend von der Landwirtschaft lebte. Und während wir mit unseren kleinen Sorgen und Freuden beschäftigt waren, braute sich im hohen Norden Lapraks die Katastrophe zusammen, die so unerwartet mit der Kriegserklärung der Brochonier über uns hereinbrach.
So kam es, dass in diesem so vielversprechend beginnenden Jahr viele Hoffnungen vernichtet wurden.
Doch von all dem wusste ich noch nichts, als ich an einem schönen Morgen im Monat Quartia durch die Straßen Aridas ging und eine weiß gekleidete Gestalt, in der ich Larenia, die Gildeherrin, erkannte, an mir vorbeihuschen sah. Da mich die Angelegenheiten der Gilde der Zauberer stets fasziniert hatten, wird es niemanden wundern, dass ich ihr kurz entschlossen folgte.
Quartia
Obwohl es noch sehr früh war, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. In kurzer Zeit würden die Straßen Aridas, der Hauptstadt des Königreiches Anoria, zu geschäftigem Leben erwachen. Doch noch war alles still. So still, dass sogar Larenias leise Schritte vom Straßenpflaster widerzuhallen schienen. Sie gehörte zum Volk der Kandari, die von den Menschen der Einfachheit halber als Elfen bezeichnet wurden, und hätte sich vollkommen lautlos fortbewegen können, aber es schien die Gildeherrin nicht zu kümmern, ob sie gehört oder gesehen wurde. Zielsicher bewegte sie sich durch das Labyrinth von Straßen, Gassen und kleinen, ärmlichen Häusern, denn im untersten der drei Ringe der Stadt lebten nur die Fischer, mittellose Handwerker und Tagelöhner.
Schließlich erreichte Larenia den Hafen. Hier blieb sie stehen, offensichtlich hatte sie ihr Ziel erreicht. Eine Weile stand sie reglos im silbrigen Morgenlicht. Kein Laut war zu hören außer dem Rauschen der Wellen und dem Rascheln des Windes.
Plötzlich erklang eine leise Stimme hinter ihr: „Du wurdest verfolgt.“
Sie erschrak nicht. Sie drehte sich noch nicht einmal um und ihre Antwort bestand nur aus einem leichten Schulterzucken: „Ebenso wie du, Arthenius.“
Aus dem Schatten eines Hauses hinter ihr löste sich die große, schlanke Gestalt eines Mannes. Genau wie Larenia war er in Weiß gekleidet und sein silbernes Haar und seine blauen Augen verrieten ihn sofort als Elfen.
„Das ist Elaine. Seitdem sie gestern mit Logis angekommen ist, folgt sie mir.“
Eine Weile schwiegen sie beide. Schließlich, als die Stille erdrückend wurde, wandte sie sich um.
„Warum bist du hier, Arthenius?“
Seufzend blickte er auf Larenia herab. Dabei stellte er erstaunt und erschrocken fest, wie klein und zierlich sie doch war. Normalerweise fiel das kaum auf. Und ihre
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