Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
einzuhüllen. Schließlich ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Sie richtete sich auf, löste endlich den Blick von seinem Gesicht und ging schnell und sicher auf die Holztür auf der gegenüberliegenden Seite zu. Arthenius folgte ihr. Überdeutlich sah er den Raum mit all seinen Einzelheiten, die Säulen, die Struktur des Mauerwerkes und Larenias schlanke Finger, die sich um die Türklinke schlossen. Sie warf ihm einen letzten, kurzen Blick zu. Dann öffnete sie entschlossen die Tür und Gegenwart und Vergangenheit verschwammen.
Sie betraten den Thronsaal, eine hohe Halle aus einst weißem, jetzt sandfarbenem Gestein, deren Dach von kunstvoll verzierten Säulen getragen wurde. Das letzte Abendlicht schimmerte durch die schmalen, hoch gelegenen Fenster und tauchte den Thron in rotgoldenes Licht. Grau gekleidete Kandari standen zwischen den Säulen mit unbeweglichen Gesichtern und gefühllosem Blick. Dann erklang das scharfe Klirren von Metall auf Stein …
Arthenius blinzelte. Der Saal war beinahe leer. Laurent saß auf seinem Thron und sprach mit Sibelius, der alles andere als in demütiger Haltung vor ihm stand. Nur einer der vier Bewahrer, von denen Roxana gesprochen hatte, war zu sehen. Er stand schräg hinter dem Thron, eine Verkörperung der Macht im Schatten. Keiner von ihnen hatte bisher Larenia bemerkt, die langsam, aber ohne zu zögern, den Thron umrundete. Lautlos schloss Arthenius die Tür hinter sich. Er blieb in der Nähe der Wand stehen und beobachtete, wie Larenia in Laurents Blickfeld trat.
Sie ging weiter, bis sie direkt vor seinen erhöhten Sessel gelangte. Hier blieb sie stehen. Sie sagte kein Wort. Sie stand einfach nur reglos da, ihre dunklen, wunderschönen Augen auf das Gesicht ihres Vaters geheftet.
Laurent verstummte mitten im Wort. Fassungslos starrte er seine Tochter an, ohne begreifen zu können, wer hier vor ihm stand. Er blickte in ihr schmales Gesicht, das ihm zugleich fremdartig und vertraut erschien. Er kannte dieses kleine, zierliche Mädchen mit dem hellen Haar und den großen blauen Augen. Dann fiel sein Blick auf den weißgoldenen siebenzackigen Stern, den sie an einer Kette um den Hals trug. Laurent erschien sie wie eine Erscheinung aus einem anderen Leben, eine ferne Erinnerung, die er kaum einordnen konnte. Langsam stand er auf.
Im selben Augenblick bemerkte Arthenius eine Bewegung im Schatten hinter Larenia. Er glaubte, das Flattern grauer Mäntel zu sehen. Gleichzeitig änderte sich die Haltung des Bewahrers, der hinter Laurent stand.
Mit schleppenden Schritten ging der König auf Larenia zu. Er streckte die Hand aus, als müsse er sich vergewissern, ob sie wirklich hier war. Seine Finger berührten ihr seidiges Haar und er blinzelte ungläubig.
„Zarillia?“, flüsterte er unsicher und trat noch einen Schritt näher. Er strich über das kühle Metall des siebenzackigen Sterns und blickte wie verzaubert in ihr unbewegliches Gesicht. Plötzlich jedoch verschleierte sich sein Blick. Er taumelte rückwärts und sackte auf seinem Thron zusammen. Gleichzeitig erschienen scheinbar aus dem Nichts zwei grau gekleidete Bewahrer neben Larenia. Einer von ihnen legte seine Hand auf ihren linken Unterarm. Es war kaum mehr als eine behutsame Berührung, aber die Bewahrer waren nicht auf Gewalt angewiesen. Hinter dieser harmlos scheinenden Geste verbarg sich eine stumme Drohung, eine Andeutung dessen, wozu sie fähig waren.
Mit weit aufgerissenen Augen sah Larenia in die Gesichter der hochgewachsenen Kandari. Obwohl Arthenius sie abschirmte, fühlte sie die Macht ihrer Gegner, die Energie, die sie entfesselten bei dem Versuch, ihren Geist zu kontrollieren. Für Larenia allein wäre es ein harter Kampf gewesen und sie war sich nicht sicher, ob sie gewonnen hätte. Jetzt ließ sie scheinbar geschlagen den Kopf hängen und verharrte in resignierter, demütiger Haltung.
Der größere der Bewahrer verstärkte seinen Griff um ihr Handgelenk: „Larenia“, Verwunderung und verhaltener Triumph schwangen in seiner Stimme mit, „du hättest nicht kommen sollen.“
Sie reagierte nicht. In diesem Augenblick war sich nicht einmal Arthenius sicher, ob diese stille Hoffnungslosigkeit gespielt oder echt war. Doch dann blieb sein Blick an Laurent hängen, der sich in seinem erhöhten Sessel halb aufgerichtet hatte.
„Larenia?“, flüsterte er kaum hörbar. Noch immer wirkte sein Gesichtsausdruck abgestumpft und leer, doch Arthenius bemerkte das unruhige Flackern in seinen
Weitere Kostenlose Bücher