Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
wandte er sich seinen Beratern zu. Die vier Bewahrer, denn inzwischen war auch Valerian aus dem Schatten getreten, standen neben Sibelius, der jede Flucht verhindert hatte. In ihren Gesichtern erkannte der König der Kandari die unterschiedlichsten Emotionen: Wut, Hass, Verwirrung und Angst. Laurent richtete sich auf und blickte auf die Anwesenden herab. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er sich bewusst, dass er der König der Kandari war, dass er über sein Leben bestimmen konnte und dass er nicht länger das Geschöpf der Bewahrer war.
„Ihr habt es gewusst“, er ging auf die grau gekleideten Kandari zu, und obwohl sich seine Haltung nicht änderte und sein Tonfall ruhig und beherrscht war, wirkte er bedrohlich, „ihr habt all das gewusst, über die Brochonier und den Niedergang unseres Volkes und habt es nicht für nötig gehalten, mir darüber zu berichten?“, er dämpfte seine Stimme zu einem gefährlichen Flüstern und blieb direkt vor den Bewahrern stehen.
„So wie Ihr auch, mein König“, aus den Worten des größten Bewahrers sprach der pure Hohn. Voller Arroganz sah er Laurent an, „wir haben uns stets um das Wohl unseres Volkes gesorgt und danach haben wir gehandelt.“
Mit zornig blitzenden Augen starrte der König seinen einstigen Ratgeber an: „Aber es stand nicht in eurer Macht, diese Entscheidung zu treffen! Dieses Mal seid ihr zu weit gegangen“, er ballte seine Hände zu Fäusten, dann brüllte er, „es stand euch nicht zu!“
Mühsam fand er seine Beherrschung wieder und drehte den Bewahrern den Rücken zu: „Geht, bevor ich es mir anders überlege.“
Einen Augenblick lang herrschte angespanntes, eisiges Schweigen im Thronsaal. Dann aber hörte Laurent leise, sich schnell entfernende Schritte hinter sich und schließlich das Zuschlagen einer schweren Tür. Erleichtert atmete er auf. Er drehte sich zu Larenia um, die noch immer unbeweglich an der gleichen Stelle stand. Auf Sibelius achtete er nicht und auch Arthenius, der seinen Platz an der Tür verlassen hatte und kaum eine Armeslänge von ihr entfernt stand, schenkte er nicht die geringste Aufmerksamkeit. Langsam näherte er sich seiner Tochter und schließlich legte er seine rechte Hand auf ihre Schulter: „Es tut mir unendlich leid, Larenia.“
Endlich drehte sie sich um und wandte ihm ihr müdes Gesicht zu: „Ich brauche deine Entschuldigung nicht, Laurent“, sie hob den Blick und der König erschrak vor der Kälte in ihren dunklen Augen, „hierbei geht es nicht um uns. Überlege dir lieber, was du jetzt unternehmen willst.“
Er ließ seinen Arm sinken: „Ich weiß es nicht. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken.“
„Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen. Melde dich, wenn du eine Entscheidung getroffen hast.“
Mit schweren, schleppenden Schritten ging sie an ihm vorbei, dicht gefolgt von Arthenius. Wortlos sah ihr Laurent nach. Er konnte das Vergangene nicht ungeschehen machen. Er hatte ihr alles genommen, ihr Vertrauen missbraucht und sie zu einem Leben im Exil verurteilt. Er verstand ihre Ablehnung und dennoch …
„Larenia!“, sie blieb stehen, ohne sich umzudrehen. „Ich hoffe, du kannst mir eines Tages verzeihen.“
Sie senkte den Blick und ging weiter, ohne zu antworten. Sie konnte ihm nicht vergeben, nicht so, nicht nach all den Jahren.
Mit einem wütenden Knurren riss Pierre sein Schwert in die Höhe und drang mit schnellen, präzisen Hieben auf den Brochonier in der dunklen Uniform ein. Hastig und stolpernd wich sein Gegner zurück, aber Pierre ließ ihm keine Zeit, sich von dem Angriff zu erholen. Er holte zu einem weiteren vernichtenden Schlag, der gegen den Hals des Brochoniers gerichtet war, aus. Im letzten Moment drehte er die Klinge, sodass er seinen Widersacher nur mit der flachen Seite seines Schwertes an der Schulter traf, anstatt ihn zu töten. Aber in dem Angriff lag noch genug Kraft, um den Mann von den Füßen zu reißen. Keuchend umklammerte er seinen lädierten Arm und blieb liegen. Einen Moment lang blickte Pierre auf seinen besiegten Gegner herab, dann drehte er sich um und verließ wortlos den Übungsplatz.
Nach wenigen Schritten erreichte er ein flaches, lang gestrecktes Gebäude, die Unterkunft der in Butrok stationierten Offiziere. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und er schritt mit schnellen, selbstsicheren Schritten in Richtung Kantine. Er war noch nicht weit gegangen, als sich ihm Collyn anschloss.
„Ich habe in den letzten Tagen mehrere
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