Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
scharf an, bis sie zustimmten. Dann führte er sie durch das Straßenlabyrinth von Anaiedoro bis zum Schlossplatz. Im Schatten der hohen Mauern blieben sie stehen. Einen Augenblick lang sah Sibelius sich suchend um, dann winkte er einer Gestalt auf der anderen Seite des Platzes zu, die daraufhin ihren Standort verließ und auf sie zuging. Als sie näher kam, erkannte Arthenius die große, schlanke Frau mit dem wüstensandfarbenen Haar und den stahlharten blauen Augen. Ohne große Begeisterung musterte sie ihn und Larenia, bevor sie Sibelius ansah: „Und du glaubst, dass das funktioniert? Die beiden sind so unauffällig wie ein Leuchtfeuer.“
„Roxana …“
Die stellvertretende Heerführerin hob abwehrend die Hand: „Schon gut, ich stelle deine Befehle nicht infrage, Sibelius“, abschätzend fixierte sie ihren Blick auf Larenias Gesicht, die sie ruhig und vollkommen ausdruckslos ansah, „also folgt mir. Und kein Wort!“
Sibelius klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter, dann trat er aus dem Schatten und stolzierte quer über den Platz auf die Wachen am Eingang des Schlosses zu.
Roxana wartete, bis er durch die Tore getreten und im Inneren des Palastes verschwunden war. Endlich drehte sie sich zu Larenia um und musterte sie mit kühler Gleichgültigkeit: „Also gut. Ich führe euch zum Thronsaal, aber erwartet nicht mehr von mir. Ich befolge nur meine Befehle, das ist alles.“
Larenia nickte: „Mehr erwarte ich nicht“, dabei klang ihre Stimme klirrend kalt. Arthenius, der noch immer neben ihr stand, schauderte. Er hatte das Gefühl, dass der Abgrund zwischen ihnen immer tiefer wurde.
Sie umrundeten den Palast. Dabei zeigte Roxana, die vorausging, keine Spur von Eile oder gar Hektik. Ab und zu blieb sie stehen und wechselte ein paar Worte mit einem Bekannten. Doch schließlich erreichten sie die Rückseite des Schlosses.
Hier war alles still. Ein paar einzelne Kandari huschten an ihnen vorbei und verschwanden in den Gassen. Die Front des Palastes erstrahlte noch immer im Glanz der einstigen Größe und Macht der Kandari, hier jedoch war davon nichts mehr zu sehen. Alles war vom Verfall gezeichnet und deutlich war zu sehen, wie viel Zeit zwischen der großartigen Vergangenheit im ersten Zeitalter und dem Hier und Jetzt lag. Halb verborgen hinter einem Schutthaufen lag der selten genutzte Hintereingang, von dem Sibelius gesprochen hatte. Ein einzelner Soldat stand davor und hielt Wache. Als er Roxana erkannte, verbeugte er sich tief und trat zur Seite. Jedes Mitglied der Armee hatte großen Respekt vor der zweiten Heerführerin und niemand würde es wagen, ihre Handlungen infrage zu stellen. So achtete der Wachposten nicht auf Larenia und Arthenius, und falls er neugierig war, konnte er sein Interesse gut verbergen.
Sie traten aus dem rötlich grauen Dämmerlicht in das finstere Innere des Schlosses. Roxana blieb stehen. Sie zog eine Fackel unter ihrem Mantel hervor und hielt sie Larenia entgegen.
„Wie wäre es mit etwas Licht?“
Fragend sah die Gildeherrin zu Arthenius, der mit den Schultern zuckte. So bewegte sie nachlässig ihre Hand und sofort flammte Feuer auf. Einen Augenblick lang standen sie alle drei bewegungslos da und blinzelten in die plötzliche Helligkeit. Endlich hob Roxana die Fackel und die Dunkelheit wich dem flackernden Licht der Flammen und enthüllte den halb eingestürzten Gang. Der Boden war vom Wüstensand bedeckt, aus dem einzelne gesprungene Bodenplatten herausragten. Auch die Wände waren staub- und sandverkrustet und von Spinnenweben überzogen und die Luft schien erfüllt zu sein von Hitze und Staub.
„Seid bitte vorsichtig und vor allem leise“, Roxanas Stimme hallte von den Wänden wider und zum ersten Mal wirkte sie angespannt und besorgt, „zwar benutzt kaum jemand diesen Gang, aber die Bewahrer und auch die Garde halten sich oft in den angrenzenden Räumen auf. Und in den letzten Tagen habe ich Anila hier herumschleichen sehen.“
„Du hast Anila gesehen?“, nicht einmal Larenia gelang es, ihr Erstaunen völlig zu verbergen.
„Tatsächlich, das habe ich“, Roxana strich mit ihren Fingerspitzen über die verdreckte Wand, bevor sie sich wieder zu Larenia umdrehte, „sie sah furchtbar aus. Ich glaube, sie wehrt sich gegen den Bann der Bewahrer. Wenn du ihr gegenüberstehst, erinnere dich daran, dass ihr oft keine Wahl blieb, dass sie sich entscheiden musste zwischen Loyalität, Verpflichtung und dem Zwang der Bewahrer auf der einen Seite und den
Weitere Kostenlose Bücher