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Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)

Titel: Das Vermächtnis der Kandari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tracy Schoch
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Augen, als er seine Tochter musterte und nach der Erinnerung suchte, die zu ihrer Erscheinung gehörte.
    Auch Larenia hörte das Zittern in seiner Stimme. Sie sah nicht auf. Vollkommen bewegungslos blieb sie zwischen den beiden Bewahrern stehen, aber gleichzeitig richtete sie ihre Gedanken, ihre telepathische Begabung auf Laurent und versuchte, eine Verbindung herzustellen …
    Der Thronsaal verblasste und Dunkelheit hüllte sie ein. Und dann, für die Dauer eines Herzschlages, eine Ewigkeit, war da nichts mehr. Sie war allein, so allein wie nie zuvor in ihrem Leben. Die Existenz der anderen, der Bewahrer, Arthenius’, löste sich auf. Die Wirklichkeit verlor ihre Bedeutung und schließlich gab es nur noch süßes, verheißungsvolles Vergessen, Ruhe, Frieden …
    Es war nur eine von den Bewahrern geschaffene Illusion, das wusste Larenia, beruhend auf ihren eigenen, halb vergessenen Wünschen. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte sie dagegen an. Sie benötigte all ihre Selbstbeherrschung, die jahrelange Disziplin, doch endlich gelang es ihr, sich aus der Täuschung der Bewahrer, diesem verzerrten Wunschbild zu befreien. Die Luft um sie herum begann zu flimmern. Der Bewahrer auf ihrer linken Seite zog erschrocken und mit schmerzverzerrtem Gesicht seine Hand weg und wich ein paar Schritte zurück. Aber Larenia bemerkte es nicht. Das Nichts, das die Bewahrer um sie gewoben hatten, zerriss und endlich gelang es ihr, die Gedanken ihres Vaters zu erreichen. Sie fühlte …
    … Laurents Verwirrung, seine ungeordneten, verworrenen Gedanken, die hilflos durch grauen Nebel dahintrieben und jeden Bezug zur Wirklichkeit verloren hatten. Er erkannte nur, was die Bewahrer ihm zu sehen erlaubten. Sie suchte nach einer Erinnerung, einem Zeichen des Erkennens, einem Überbleibsel seiner einst starken Persönlichkeit, doch alles, was sie finden konnte, war ein blasses Echo. Sie beschwor ihre eigenen Erinnerungen an Zarillia, die Liebe seines Lebens. Sie wusste, Laurent fühlte sich von ihrer Mutter verraten, weil sie Anaiedoro verlassen hatte, und es war schmerzlich für ihn, Zarillias Ebenbild in seiner Tochter wiederzusehen. Sie dachte an ihre erste Begegnung und sie glaubte, noch einmal seine zwiespältigen Gefühle, die er ihr stets entgegengebracht hatte, zu fühlen. Irgendwo im Geist ihres Vaters erwachte erneut diese Mischung aus Hoffnung und misstrauischer Zurückhaltung. Gemeinsam näherten sie sich der Gegenwart. Eine weitere Erinnerung, Sommersonnenwende vor zweihundertfünfundachtzig Jahren … Das grelle Klirren von Metall auf Stein, als sie ihm den Stirnreif, das Wahrzeichen der königlichen Familie, vor die Füße schleuderte, und der kühle, klare Klang ihrer Stimme: „Was tatest du in all den Jahren? Wie dienst du deinem Volk, Laurent?“
    Sie ignorierte seine tiefe Enttäuschung, seinen Schmerz über diesen, wie er glaubte, neuen Verrat und die quälenden Zweifel, als er sich von seiner Tochter abwandte.
    Der Bewahrer, der bisher hinter Laurents Thron gestanden hatte, stolperte ein paar Schritte zurück und hob die Arme schützend vor das Gesicht. Er wusste, dass sie die Kontrolle über ihren Bann verloren hatten. Es war ein Fehler gewesen, Larenia zu unterschätzen, das wurde ihm bewusst, als er sie jetzt dastehen sah, eingehüllt in gleißendes, bläuliches Licht. Sie hob den Kopf und der Blick ihrer sonderbaren Augen, Augen, in denen man sich nicht spiegeln konnte, fesselte Laurent. Sie zwang ihn, zu sehen …
    … was in den letzten Jahrhunderten aus den einst so mächtigen, stolzen Kandari geworden war. Er blickte durch ihre Augen auf die verfallenen Straßen Anaiedoros. Er sah die ängstliche Anspannung, die Hoffnungslosigkeit und Resignation in den Gesichtern der Kandari, ebenso wie die zerstörten, verbrannten Städte in Anoria und er fühlte die Macht der brochonischen Druiden, ihren Hass und ihre Grausamkeit, ihre Gewaltbereitschaft …
    „Nein!“, mit einer ungeheuren Willensanstrengung gelang es ihm, sich zu befreien, „das kann nicht sein. Es ist nicht wahr!“
    Dann erinnerte er sich wieder an seine Umgebung. Lange Zeit sah er Larenia an, als bemerke er ihre Anwesenheit jetzt zum ersten Mal.
    „Du bist es also wirklich“, murmelte er, „ich habe geglaubt, ich würde dich nie wieder sehen. Larenia“, er blickte in ihr ruhiges Gesicht, das nicht die geringste Gefühlsregung verriet, „du hast dich sehr verändert.“
    Einen Moment lang sah er sie noch an, aber als sie nicht antwortete,

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