Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
zurücktrete und die Macht des Hochkönigs an meinen Sohn weitergebe“, mit diesen Worten drückte er den Stirnreif auf Julius’ dunkles Haar, „Erhebt Euch, König Julius von Anoria. Möge die Zeit Eurer Herrschaft lang und gerecht sein.“
Einen Augenblick lang herrschte ehrfürchtiges Schweigen im Raum. Dann stand Julius auf und sein Vater sagte mit leiser, zitternder Stimme: „Und jetzt verschwinde von hier. Du trägst nun die Verantwortung für unser Volk. Geh und rette Anoria.“
Es kostete Julius sehr große Kraft und Überwindung, sich von seinem Vater abzuwenden. Langsam und mit schweren Schritten ging er auf den Ausgang zu, ohne noch einmal stehen zu bleiben oder auch nur zurückzusehen. François, Dalinius und Raphael gingen mit ihm.
„Ich werde vorausgehen“, François trat als Erster in den Hof des Palastes. Er sah sich aufmerksam um, bevor er sich wieder an seine Begleiter wandte: „Seid vorsichtig und vor allem leise. Und Julius“, sein Blick wanderte vom Gesicht des jungen Mannes aufwärts, „du solltest das abnehmen.“
Es dauerte einen Augenblick, bis Julius verstand, was er meinte. Er tastete nach dem Stirnreif und zuckte sichtbar zusammen, als seine Fingerspitzen das kalte Metall berührten.
Verwirrt sah er den Kandari an: „Warum?“
„Wach endlich auf!“, mit zwei schnellen Schritten trat François so nahe, dass Julius trotz der Dunkelheit jede Einzelheit seines Gesichtes erkennen konnte. Offenbar kostete es ihn große Mühe, sich zu beherrschen und seine Stimme zu einem Flüstern zu dämpfen: „Es ist nicht notwendig, dass, sollten wir auf Brochonier treffen, unsere Feinde sofort erfahren, dass sie den König von Anoria vor sich haben.“
„Oh“, hastig nahm Julius den Stirnreif ab und versteckte ihn in einer Tasche seines Mantels. Die Ereignisse im Taktikraum erreichten nur sehr langsam sein Bewusstsein und er hatte ihre volle Bedeutung noch nicht realisiert. Er blinzelte ein paar Mal und versuchte, seine Aufmerksamkeit auf den vor ihnen liegenden Weg zu lenken.
„Wir treffen uns am Südtor“, lautlos zog François sein Schwert. Er warf ihnen noch einen letzten, prüfenden Blick zu, dann nickte er ihnen zu und verschwand schnell und geräuschlos wie ein Schatten in der Dunkelheit.
Ohne wirklich etwas zu sehen, starrte Julius auf die Stelle, an welcher der Kandari noch vor Kurzem gestanden hatte. Er fühlte sich wie betäubt und seine Gedanken schienen sich durch grauen, zähen Nebel zu bewegen. Er registrierte kaum, dass Dalinius seinen Arm ergriff und ihn zu einem kleinen Durchlass in der Schlossmauer zerrte. Raffi folgte ihnen mit gezogenem Schwert.
Schnell und mit erstaunlicher Entschlossenheit führte Dalinius sie durch die stillen, verlassen wirkenden Straßen des Villenviertels. Julius ging neben ihm her, wie in einem dunklen Traum gefangen. Er achtete nicht mehr auf ihren Weg und so bemerkte er auch nicht, dass seine Begleiter ihre Schritte verlangsamten und schließlich stehen blieben.
„Hörst du das?“, wisperte Raffi und sah Dalinius verstört an. Der ältere Mann nickte: „Wir werden verfolgt. Sie haben uns schon fast eingeholt.“
Einen Moment später riss er in einer schnellen, gleichzeitig irgendwie ungelenk wirkenden Bewegung sein Schwert aus der Scheide und fuhr herum. Julius, der die Szene wie aus weiter Ferne beobachtete, bemerkte, wie fehl am Platz die Waffe in der Hand dieses sanftmütigen Mannes wirkte. Er war so in seine Betrachtungen vertieft, dass er die fünf Gestalten, die hinter ihnen auf der Straße erschienen, zuerst nicht beachtete. Dann wandte er den Blick, und während er noch die Brochonier, die so plötzlich scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren, anstarrte, geschah alles gleichzeitig.
Metall blitzte auf im schwachen Licht des abnehmenden Mondes. Dann erklang ein scharfes Klirren, als Schwerter Funken sprühend gegeneinanderprallten, ein Mal, zwei Mal, dicht gefolgt vom dumpfen Aufprall eines Körpers.
Fassungslos beobachtete Julius, wie Dalinius zusammenbrach und regungslos liegen blieb. Ein anderer Brochonier stieß Raffi ohne große Mühe von den Füßen. Dann wandte er sich Julius zu.
Auf einmal ertönte ein scharfer Befehl in einer fremden, hart klingenden Sprache und der Soldat blieb stehen. Der große Brochonier, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, wiederholte seine Worte und der Mann trat widerstrebend zur Seite.
„Sieh an, Prinz Julius.“
Die kalte, gehässige Stimme kam Julius vage bekannt vor
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