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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Raymond jeden Moment damit gerechnet, dass Stella sich zu ihm umdrehen und signalisieren würde, für ihn sei es jetzt Zeit, sich zu seiner Wohnung in Chelsea zu begeben. Doch das hatte sie nicht getan, und er fragte sich, ob es bedeutete, dass sie ihn begehrte, oder ob der Abend sie dermaßen strapaziert hatte, dass sie nicht mehr wusste, dass er da war und ihr wie ein treues Hündchen folgte.
    Â»Bitte, schenk mir etwas zu trinken ein«, bat sie ihn in der Suite und drückte die Tür ins Schloss. Er trat an die Bar. Sie ließ sich auf das Sofa fallen, sprang wieder auf und begann, unruhig wie ein werdender Vater auf und ab zu laufen. Zu guter Letzt stieß sie einen frustrierten Seufzer aus und sagte: »Dieser verfluchte Junge.«
    Â»Möchtest du ein Glas Wein, Liebling?«, fragte Raymond.
    Â»Nein, einen Wodka Tonic. Mit viel Wodka und wenig Tonic.«
    Raymond mixte ihr Getränk. Er hatte sich schon gedacht, dass es ein Fehler wäre, an dem Dinner der beiden teilzunehmen, aber Stella hatte darauf bestanden, und da er froh war, wenn er mit ihr zusammen sein konnte, hatte er schließlich eingewilligt. Dann war ihr Cousin erschienen, hatte ihn entdeckt und eine Miene aufgesetzt, die Raymond seine Überflüssigkeit deutlich gemacht hatte.
    Â»Ich weiß nicht mehr weiter«, bekannte Stella, als er ihr das Glas reichte. »Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
    Â»Er ist ein schwieriger Kunde«, räumte Raymond ein. Mehr wagte er nicht zu sagen, denn er hatte gelernt, dass nur Stella das Recht hatte, ihren Cousin in aller Schärfe zu kritisieren.
    Â»Er ist mehr als schwierig«, erwiderte Stella gereizt. »Er ist durch und durch problematisch.«
    Â»Schön, aber vergiss nicht, dass das Ganze ein gewaltiger Schock für ihn war. Ich will ja nicht sagen, dass er vom Tod deines Vaters profitieren wollte –«
    Â»Raymond, bitte.«
    Â»Ich meinte ja auch nicht ›profitieren‹«, verbesserte er sich hastig. »Aber möglicherweise hatte er gewisse Pläne. Dinge, auf die er gehofft hatte. Die Verlesung des Testaments muss ein unglaublicher Schlag für ihn gewesen sein.«
    Stella lachte auf. »Oh, wenn du wüsstest. Du hättest dabei sein müssen. Sein Gesicht ist weißer als sein Haar geworden.«
    Raymond schenkte sich einen Drink ein und setzte sich ihr gegenüber hin.
    Inzwischen kannten sie sich seit fast anderthalb Jahren. Am Ladies’ Day in Ascot hatten sie sich durch gemeinsame Freunde kennengelernt. Raymond hatte sich sofort in Stella verliebt. Natürlich sah sie immer blendend aus, doch an dem Tag war sie vollendet gekleidet gewesen und hatte einen Hut getragen, um den die anwesenden Frauen sie beneidet hatten. Er war nicht imstande gewesen, den Blick von ihr abzuwenden. Mittlerweile witzelten sie darüber, dass er an dem Nachmittag die meisten Rennen verpasst hatte, weil er sie unentwegt angestarrt hatte, obwohl er eine Viererwette laufen und auf einen Sieger gesetzt hatte, bei dem die Gewinnquote sechzehn zu eins gewesen war.
    Stella wiederum tat gern so, als sei es ihr nicht viel anders ergangen, und erklärte, sie habe ihn ebenfalls umgehend gemocht, aber an den Moment, als sie einander vorgestellt wurden, konnte sie sich beim besten Willen nicht erinnern, ganz gleich, wie oft sie es versuchte. Natürlich wusste sie noch, dass sie an dem Tag beim Pferderennen gewesen war und ihre Freunde sie anderen Leuten vorgestellt hatten, doch da dergleichen immerzu geschah, sagte sie sich, es sei nun wirklich zu viel verlangt, die einzelnen auseinanderhalten zu können.
    Aber dann hatte Raymond etwas ganz Erstaunliches gewagt. Es passte nicht zu ihm, und Stella hätte auch nicht damit gerechnet, doch wenige Tage nach dem Pferderennen rief er sie in Leyville an, behauptete, er sei zufällig in der Gegend, und lud sie zum Mittagessen ein.
    Als er sie abholte, streckte er die Hand aus und nannte rasch seinen Namen, um ihr die Peinlichkeit, sich danach erkundigen zu müssen, zu ersparen. »Wir sind uns in Ascot begegnet, wissen Sie noch?«
    Â»Natürlich weiß ich das noch«, log sie. »Es war ein wundervoller Tag, und Sie waren ganz reizend.«
    Â»Wir hatten abgemacht, uns irgendwann einmal zum Lunch zu treffen. Wenn ich hier unten bin. Und jetzt bin ich hier. Hier unten«, fügte er verlegen hinzu.
    Â»Na, dann sollten wir jetzt auch zum Lunch gehen«, sagte sie, denn

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