Das Vermächtnis der Montignacs
er schien ihr ein netter Bursche zu sein, und sie musste ohnehin etwas essen. »Ich hole nur schnell meinen Mantel.«
Wenig später spazierten sie hinunter in den Ort und aÃen in einem Restaurant. Währenddessen breitete Raymond seine Familiengeschichte aus, erzählte, sein Vater sei früher bei der Marine gewesen, zuletzt als Admiral, und zwei der älteren Brüder seines Vaters seien dort noch immer, bekleideten jedoch unterschiedliche Ränge. Einer sei zurzeit in der Karibik stationiert, auf einer Insel, an deren Namen er, Raymond, sich nie erinnern könne.
»Und Sie wollten der Marine nicht beitreten?«, erkundigte sich Stella.
»Ich mag kein Wasser«, entschuldigte er sich, was sie zum Lachen brachte. »Ich kann nicht mal schwimmen. Es wäre absurd gewesen.«
»Das ist in Ihrer Familie bestimmt gut angekommen«, sagte sie lächelnd. In der Vergangenheit hatte Raymond festgestellt, dass Frauen das Interesse an ihm verloren, sobald er ihnen von seiner Untauglichkeit erzählte, aber Stella, die ohnehin anders als die meisten Frauen war, schien dies für einen Pluspunkt zu halten.
»Nein, nicht sehr gut«, gestand er. »Ich bin so etwas wie das schwarze Schaf in der Familie.«
Ihr Lächeln verblasste. Sie schaute aus dem Fenster zu den lärmenden Kindern, die drauÃen herumtobten. »So eines gibt es in jeder Familie«, sagte sie. »Oder sie ernennen jemanden dazu.«
»Mir macht das nicht viel aus«, antwortete er, doch es klang, als machte es ihm einiges aus.
»Was tun Sie denn stattdessen?«, fragte sie.
»Ich habe Botanik studiert. Zurzeit arbeite ich für die Königliche Gartenbaugesellschaft in London, züchte neue Rosensorten und mache sie bekannt. In erster Linie geht es um Varianten der Hybrid Tea. Allerdings befasse ich mich auch mit anderen Edelrosen und Kletterpflanzen. Es ist unglaublich interessant.«
»Mit Blumen also«, sagte sie vereinfachend.
»Wenn man so will«, gab er zu und nickte. »Natürlich gehört noch einiges mehr dazu, aber grundsätzlich â ja, es geht tatsächlich um Blumen.«
Stella beugte sich vor, nahm seine Hand und drückte sie. Raymonds Augen weiteten sich, denn diese Berührung überraschte und erregte ihn zugleich. »Das muss ein sehr mutiger Entschluss gewesen sein«, sagte sie, als hätte er ihr gerade eine perverse Neigung gestanden, die er eines Tages zu überwinden hoffte. Sie lieà seine Hand los und lehnte sich wieder zurück.
»Arbeiten Sie â tun Sie denn irgendetwas?«, fragte er, nachdem er sich gefasst hatte. »Für Ihren Lebensunterhalt, meine ich.«
»Lieber Himmel, nein.« Bei dem Gedanken daran musste sie kichern. »Ãberhaupt nichts. Vor ein, zwei Jahren hieà es mal, ich solle eine Karriere anstreben, aber daraus ist nie etwas geworden. Es gab nichts, das mich gereizt hätte. Natürlich versuche ich, mich für wohltätige Zwecke einzusetzen. Im vergangenen Sommer habe ich in Leyville eine Tombola initiiert, um die Kinder der Bergarbeiter im Nordosten mit Medikamenten zu versorgen. Es war ein Riesenerfolg. Und vor einigen Monaten habe ich ein Dorffest veranstaltet und beinahe dreitausend Pfund für das Krankenhaus hier im Ort gesammelt. Sie müssen wissen, dass mein Vater sehr vermögend ist.«
»Das weià ich«, entgegnete Raymond und bereute es sofort. Es hörte sich an, als wäre er ein Mitgiftjäger. »Mein Vater steht sich auch recht gut«, ergänzte er, um die Scharte wieder auszuwetzen, und überlegte, ob sie jetzt dachte, er versuche, sie hinsichtlich ihres Familienreichtums zu übertreffen. »Haben Sie Brüder?«
Stella schüttelte den Kopf. »Ich hatte einen Bruder. Andrew. Er ist im Alter von achtzehn Jahren gestorben. Ein Unfall mit der Schusswaffe.«
»Das tut mir leid.«
Sie zuckte mit den Schultern und wandte kurz den Blick ab. Diesem Ausspruch gegenüber war sie inzwischen immun geworden.
»Demnach gibt es nur noch Sie?«, fragte er.
»Nicht ganz«, erwiderte sie. »Ich habe einen Cousin, Owen, der bei uns wohnt. Er ist einige Monate jünger als ich. Aber wahrscheinlich ist er eher wie ein Bruder für mich. Als er fünf Jahre alt war, ist er nach dem Tod seiner Eltern zu uns gekommen. Seitdem lebt er bei uns. Als Kinder standen wir uns sehr nah.«
»Und was macht er beruflich?«, erkundigte sich
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