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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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allem fühlte Raymond sich von Stellas Cousin eingeschüchtert. Dennoch hatte er sich gefügt, als Stella darauf bestand, er solle sie zu ihrem gemeinsamen Dinner begleiten.
    Â»Du kannst bleiben«, erklärte sie, zog ihre Schuhe aus und leerte ihr Glas. Raymond strahlte. Endlich konnte er sich entspannen.
    Â»Gut«, sagte er. »Wenn du das möchtest.«
    Â»Ich möchte«, antwortete sie und beugte sich vor. »Aber beantworte mir bitte noch eine Frage. Aufrichtig. Du musst vollkommen ehrlich sein. Was meinst du? Glaubt Owen, ich hätte etwas mit der Testamentsänderung meines Vaters zu tun?«

5
    Â»Ich hatte bereits vor, Sie aufzusuchen«, sagte Montignac, blieb an der Tür stehen und versuchte, einen Plauderton anzuschlagen, als müssten sie Banalitäten regeln, die eigentlich unter seiner Würde waren. »Aber seit Kurzem ist in der Galerie der Teufel los, und mein Plan ist in Vergessenheit geraten.«
    Â»Absolut verständlich.« Mit großmütiger Geste winkte Delfy ab. »Schließlich sind wir beide viel beschäftigte Männer.«
    Â»Richtig.«
    Â»Nehmen Sie Platz, Owen.«
    Das war keine Bitte, nicht einmal ansatzweise, sondern ein Befehl. Montignac gehorchte. Es gab nur wenige Menschen auf der Welt, vor denen er sich jemals gefürchtet hatte, doch Delfy machte ihm Angst. Es war keine Angst vor einem körperlichen Angriff, dazu war Delfy zu zierlich und auch sein engelhaftes Gesicht wirkte nicht im Mindesten bedrohlich. Es lag auch nicht an den Schlägern und Wachen, die Delfy umgaben und Menschen verletzten, ohne darüber nachzudenken. Trotzdem wünschte sich Montignac, woanders zu sein, denn das, was ihm zusetzte, war Delfys Ruf. Zwar wusste man, dass er nie so weit ging, seine Feinde zu töten, allerdings kannte er grausamere Methoden und fand Wege, seine Widersacher mittels der Menschen, die ihnen nahestanden, zu quälen. Und sollten seine Opfer niemanden von ausreichender Bedeutung kennen, dosierte er seine Rache so fein, dass sie bei den Empfängern zu endlosem Leiden führte. Man hatte von Menschen gehört, die gelähmt wurden und den Rest ihres Lebens im Rollstuhl oder in Kliniken verbrachten, oder die geblendet wurden, indem er ihnen die Augen ausstechen ließ. Dann und wann gab es welche, denen ein lebenswichtiges Organ entfernt wurde, was insgesamt gesehen so viel hieß, dass Delfy nicht einer war, der an die Gnade des schnellen Todes glaubte.
    Â»Das mit Ihrem Onkel tut mir leid«, sagte er. »Haben Sie sich nahegestanden?«
    Â»Ich habe bei ihm gewohnt. Seit ich fünf Jahre alt war.«
    Â»Danach hatte ich nicht gefragt.«
    Â»Wir haben uns nahegestanden«, antwortete Owen zögernd. »Bis zu einem gewissen Punkt.«
    Â»Ich hatte auch mal einen Onkel«, erzählte Delfy. »Ich erinnere mich kaum noch an ihn, weiß nur noch, dass er, als ich Kind war, sehr freundlich zu mir war. Jedes Mal, wenn er zu Besuch kam, hatte er Geschenke für mich dabei. Ich weiß auch noch, dass wir zusammen Schach gespielt haben. Obwohl er darin nicht sehr gut war. Im Alter von sieben Jahren konnte ich ihn schon schlagen. Wie mir jetzt scheint, hat es ihm nie etwas ausgemacht. Wenn überhaupt, war er stolz auf mich. Er ist im letzten Krieg gefallen.«
    Â»Wie mein Vater«, sagte Owen und biss sich auf die Lippe. Er sprach nicht gern über seine Eltern, und wenn, dann sicherlich nicht mit Nicholas Delfy. Auch waren seine Erinnerungen an sie verschwommen, denn als er in Leyville aufwuchs, war keiner im Haus dazu ermuntert worden, ihre Namen zu erwähnen.
    Â»Tatsächlich?«, fragte Delfy interessiert. »Wie ist das passiert?«
    Â»Er ist in der Schlacht an der Somme umgekommen. Er und sein Zug starben bei einem deutschen Panzerangriff. Damals war er erst vierunddreißig Jahre alt.«
    Â»Ach«, sagte Delfy leise und nickte ehrfürchtig, »das wusste ich nicht.«
    Â»Warum sollten Sie?«
    Â»Wie wahr, wie wahr. War Ihr Vater auch ein Spieler, Owen?«
    Auf diese Frage ging Montignac nicht ein. »Man kann mich wohl kaum als Spieler bezeichnen.«
    Â»Nein?« Delfy tat so, als wäre er aufrichtig erstaunt. »Interessant.« Er griff nach dem Kontenbuch auf seinem Schreibtisch und begann, darin zu blättern, bis er nach zwei Dritteln der Seiten auf eine stieß, die er schweigend studierte. Dann richtete er seinen Blick auf Montignac. »Hier steht,

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