Das Vermächtnis der Schwerter
ein eigenartig zweigeteilter Ort. Er markierte eine Trennlinie zwischen den farblosen, kantigen Felsenterrassen, die zum Meer hin abfielen, und dem grünen, vor Leben strotzenden Inneren der Insel. Selbst der Wind schien hier nicht einheitlich zu wehen, denn über das Meer wurde kalte, salzige Luft herangetragen, während von den Wäldern, die unweit des Hügels begannen, ein feuchtwarmer Luftstrom zu Arton emporstieg. Vielleicht war das der Grund, warum sich der Schwertmeister ausgerechnet diese Stelle ausgesucht hatte, um in sein gespaltenes Inneres hineinzuhören. Denn Arton wusste, es konnte nicht so weitergehen. Er war an einem Punkt angelangt, an dem er den Kampf gegen Schuld, Hass und Schicksal verloren geben musste. Es gab nur noch zwei Möglichkeiten für ihn: Untergang oder Rückzug. Wenn er sich weiterhin zwischen Menschen aufhalten musste, die ihn für das, was er war, verurteilten, dann würde er früher oder später daran zerbrechen. Die vage Illusion eines Freundes, die er eine Zeit lang in Rai gesehen hatte, war durch die harte Wahrheit in Gestalt der geschundenen Belena hinweggefegt worden wie ein schlecht verspanntes Zelt im Sturm. Im Grunde war Arton der Seewaitherin dankbar, dass sie ihn auf diese Weise wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Es gab schlichtweg niemanden unter den Menschen auf Andobras oder sonst wo auf der Welt, der ihn, sein Handeln und seine Beweggründe wirklich verstehen konnte, das musste er endlich akzeptieren. Nur Gutmütigkeit und die Bereitschaft, über eine Reihe von Dingen einfach hinwegzusehen, hatten es Rai überhaupt erlaubt, ein Vertrauensverhältnis zu Arton aufzubauen. Aber nun war auch Rai eines Besseren belehrt worden und letztendlich war das auch gut so. Dies ermöglichte es dem Schwertmeister, das letzte Band zu zerschneiden, endgültig loszulassen, sich von den Menschen und ihren Belangen für immer abzuwenden. Denn Arton wusste jetzt: Er war kein Mensch.
Diese Erkenntnis kristallisierte sich erst jetzt langsam in seinem Kopf, doch sie ließ sein ganzes Leben in einem neuen Licht erscheinen. Er hatte stets verbissen um die Anerkennung seiner Mitmenschen gekämpft, wollte ein von allen bewunderter Held sein, geachtet und geehrt. Stattdessen hatte er immer nur Vorurteile, Unverständnis, Missgunst und zum Teil sogar offene Feindseligkeit erfahren. Die wenigen Menschen, die ihm Freundlichkeit oder gar Liebe entgegenbrachten, kannten nicht sein wahres Wesen. Ihre Zuneigung gründete auf Unwissenheit, denn selbst Tarana hätte sich wahrscheinlich von Arton abgewandt, wenn sie gestern bei der Konfrontation mit Belena zugegen gewesen wäre, dachte Arton traurig. Aber Xelos hatte Tarana ja in seiner Gnade zu sich berufen, bevor sie die abstoßende Wahrheit über ihren vermeintlichen Geliebten hatte herausfinden müssen. Überhaupt schienen die Götter Arton mit jedem einzelnen Schicksalsschlag, den sie ihm versetzten, die Annäherung an die Menschen austreiben zu wollen. Taranas Tod, die Zerstörung seiner Schule, die Trennung von seinen Adepten, deren Anerkennung er genossen hatte, die Verunstaltung seines Gesichts, das plötzliche Auftauchen Belenas, all das wirkte nun wie eine Vielzahl unmissverständlicher Fingerzeige. Vielleicht hatten ihm die Himmelsherrscher auf diese schmerzliche Weise begreiflich machen wollen, dass er inmitten der Menschen zwar notgedrungen toleriert, aber niemals willkommen geheißen würde. Und seit seinem Gespräch mit Nataol kannte er auch den Grund: Er war keiner von ihnen, Arton trug das Blut der Fardjani in seinen Adern. Er konnte sich noch so sehr bemühen, aber diese Barriere zwischen ihm und den Menschen würde er niemals überwinden können. Wenn jedoch seine Andersartigkeit bei den Menschen Verachtung oder sogar Furcht auslöste, dann blieb ihm nur eine Möglichkeit – Rückzug. Er musste die Gesellschaft von Menschen in Zukunft meiden.
Aber wohin sollte er gehen? Er dachte an den Citpriester. Nataol hatte ihm einen möglichen Weg aufgezeigt, der Arton von den Göttern vorgegeben wurde. Es galt nur noch, den von ihnen gesteckten Wegmarken zu folgen. Eine davon wies eindeutig nach Tilet, wo Arton dem mächtigsten Kirchenfürsten gegenübertreten sollte, den es in den Ostlanden gab: dem Citarim. Aber was für andere möglicherweise eine unvergleichliche Ehre gewesen wäre, stellte für den innerlich zerrissenen Krieger lediglich eine Gelegenheit dar, weitere Antworten zu erhalten. Die Frage war allerdings, ob
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