Das Vermächtnis der Schwerter
die alle auf ihrem Weg zur Burg passieren mussten. Arton vermutete hinter dieser taktisch klugen Aufstellung der Truppen Barats Wirken, der seine militärischen Kenntnisse schon bei der Einnahme der Festung unter Beweis gestellt hatte. Offensichtlich wollte er sicherstellen, dass keine Verfolger aus der Stadt bis zur Burg vordringen konnten, dabei aber gleichzeitig den fliehenden Minenarbeitern die sichere Passage ermöglichen.
Arton entspannte sich ein wenig. Es sah nicht danach aus, als würden die Städter eine ernsthafte Verfolgung der Burgbewohner versuchen. Außer der gut ausgerüsteten, kleinen Truppe unter Barats Befehl sah er kaum Bewaffnete in den Straßen der Stadt oder auf dem Weg herauf zur Burg. Und selbst wenn eine Gruppe der Stadtbewohner einen Angriff wagen sollte, waren zwischen der Stadt und dem offen stehenden Burgtor immer noch Barats gepanzerte Minenarbeiter postiert, die sich langsam und geordnet in Richtung Festungsplateau zurückzogen. Eine Gefahr für die Burg schien somit nicht zu bestehen. Dennoch entschied Arton, noch eine Weile auf der Turmplattform zu bleiben, um die Geschehnisse weiter im Auge zu behalten.
Es war keine angenehme Aufgabe, bei dem unablässigen Regen draußen auszuharren, besonders weil es einige Zeit in Anspruch nahm, bis endlich wieder alle Burgbewohner in der Festung Andobras waren. Aber Arton hatte schon so oft unter widrigsten Wetterverhältnissen den Wachdienst am Tor der Kriegerschule Ecorim übernehmen müssen, dass er das strömende Nass gar nicht mehr wahrnahm. Seine Aufmerksamkeit galt ganz und gar den Zurückgekehrten, die sich alle auf dem Burgplatz versammelt hatten und meist in unterschiedlich großen Gruppen zusammenstanden, um aufgeregt das Geschehene zu bereden. Der lange blonde Seewaither namens Kawrin war der Letzte gewesen, der das Burgtor passiert hatte, bevor es geschlossen wurde. Das Herablassen des Fallgitters war indes nicht nötig geworden, da es glücklicherweise keine Verfolger gab, denen der Zutritt zur Burg auf diese rasche Art und Weise hätte verwehrt werden müssen. Das Schließen der Tore war eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Arton stieg die steilen Steinstufen des Torturms wieder hinab und trat auf das Burgplateau hinaus. Wenig entfernt standen Barat und Erbukas mit betroffenen Gesichtern, während Kawrin aufgeregt auf sie einredete.
»… eben noch hinter mir, dann war er plötzlich verschwunden. Ich hab überall gesucht, aber nichts!«, hörte Arton den blonden Seewaither sagen, als er die drei erreichte. Sobald Kawrin ihn bemerkte, verstummte er sofort und versuchte, Artons Blick auszuweichen. Seit jenem Tag, als Arton gewaltsam die Informationen über den Anschlag auf die Kriegerschule Ecorim aus Kawrin herausgepresst hatte, war ihm dieser so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Nicht dass dies den jungen Erenor sehr gestört hätte, aber er wusste, dass ihm der schlaksige Seewaither fortan feindlich gesinnt war.
»Was ist geschehen?«, fragte Arton schlicht.
Barat übernahm nach einem kurzen Blickwechsel mit den anderen das Sprechen: »Es kam zu einem Tumult bei der Versammlung in der Markthalle. Unter den Städtern gab es einige Aufrührer, aber offensichtlich waren auch unter den Minenarbeitern mehrere Unzufriedene. Jedenfalls hat das zusammen ausgereicht, dass ein paar Leute mit Schwertern auf uns losgingen und … im Verlauf dieser Auseinandersetzung ist wohl Rai irgendwie verschwunden.«
Es war offensichtlich, dass Barat diese Geschehnisse weit mehr bewegten, als er in seinem knappen Bericht durchblicken ließ. Auch Arton selbst traf die Nachricht von Rais Verschwinden unerwartet hart, hatte er doch in den letzten Tagen kaum einen Gedanken an den kleinen Tileter verschwendet. Aber Rai war für Arton so etwas wie ein Licht in der Dunkelheit geworden, ein Anker aus Zuversicht, der ihn auch in Verbindung hielt mit den anderen. Rai zeigte als Einziger keine übermäßige Scheu oder Angst vor dem düsteren Schwertmeister, sondern schien ihn als das zu nehmen, was er war: einen übellaunigen Eigenbrötler, den man jedoch weder fürchten noch verachten musste. Denn genau dieses Gefühl der Abneigung nahm Arton ohne Ausnahme bei allen anderen Burgbewohnern wahr, wenn er mit ihnen verkehrte. Meist förderte er diese negativen Reaktionen noch zusätzlich durch sein herrisches Verhalten, da ihm nicht daran gelegen war, die Gunst anderer zu gewinnen, wenn sie ihm von Anfang an ablehnend gegenüberstanden. Ein wenig Respekt für
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