Das Vermächtnis der Schwerter
ein Teil der Xeliten zu diesem entscheidenden Schritt entschlossen hatte.
Nachdem er mit großem Nachdruck seine Gefährten und die Arbeitermiliz zur Eile angespornt hatte und endlich alle an der Winde versammelt waren, wurde der auf der Holzplattform abgestellte Transportkorb zunächst leicht angehoben, damit er über den Spalt schwingen konnte. Danach ließen sie die Gondel langsam in die Tiefe. Rai lief zum Spalt und wies die Xeliten an, dass höchstens fünf auf einmal den Korb betreten sollten, da das Gewicht sonst für die Männer an der Winde zu groß werden würde, um es zu heben. Die Gottesdiener taten, wie ihnen geheißen, und so wurden in drei Fuhren vierzehn der Xelosanhänger ans Tageslicht befördert. Zu Rais großer Freude befand sich bei der letzten Gruppe auch Selira.
Die Xeliten blinzelten ungläubig und fast ängstlich in den hellen, weiten Himmel über ihren Köpfen und besahen sich staunend die Umgebung. Manche strichen auch mit ihren Händen über ein Grasbüschel, das aus einer Felsritze wuchs, oder gingen vorsichtig zu einem der umstehenden Bäume hinüber, um Rinde und Laub zu befühlen. Andere legten sich einfach vollkommen überwältigt auf den steinigen Untergrund und schienen sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als einfach nur die frische Luft in ihre Lungen strömen zu lassen.
»Selira«, sprach Rai die Xelitin nach einem kurzen Moment des Zögerns an. »Ich bin froh, dass du und deine Gefährten euch doch noch entschlossen habt, an die Oberfläche zurückzukehren.« Zwar war Rai unten in der Mine aufgefallen, dass Selira wohl einem eher südländischen Menschenschlag angehörte, aber erst jetzt, im Licht des Tages, erkannte Rai, dass ihre Haut die rotbraune Farbe von gebranntem Ton besaß. Dies verwunderte ihn ein wenig, wenn er so darüber nachdachte. Bei ihm selbst und allen anderen, die er kannte, führte langer Aufenthalt fernab des Sonnenlichts zu einer merklichen Aufhellung der Hautfarbe, bis hin zu einer eher kränklich anmutenden Blässe. Bei Selira hatten die vielen Jahre in den finsteren Minenschächten jedoch keineswegs zu einem solchen Erblassen geführt. Es schien fast so, als hätte auch in den Tiefen des Bergwerks Cits Licht zu ihr gefunden. Rai gefiel diese Vorstellung, denn er fand ohnehin, dass es eine Schande war, ihr Antlitz nicht stets im vollen Glanz der Sonne erstrahlen zu lassen.
»Wir haben hier auf euch gewartet«, verkündete er fröhlich, ohne der noch leicht verwirrt wirkenden Selira Zeit zu geben, all die ungewohnten Eindrücke in sich aufzunehmen. »Wenn ihr bereit seid, dann bringen wir euch zur Stadt, dort kannst du das Meer sehen.«
»Ich muss erst einmal ein wenig rasten«, brachte die Xelitin stockend hervor. »Das ist alles so … groß.« Ihr Blick verlor sich im grenzenlosen Himmel, wo am heutigen Tag keine einzige Wolke zu finden war. Die Sonne erhob sich gerade majestätisch über den nahen Baumwipfeln, Vögel begrüßten mit ihrem Gesang den Morgen und ein sanfter Wind trug die salzige Luft vom Meer heran.
Rai gelang es nur kurz, sich für die Schönheit der Umgebung zu begeistern. »Von der Festung Andobras aus hat man einen großartigen Blick über das Meer«, versuchte er, wieder Seliras Aufmerksamkeit zu gewinnen, »und man kann die Wellen gegen die Felsen schlagen hören. Davon hast du doch gesprochen, unten in der Mine.«
»Rai«, ertönte Barats mahnende Stimme hinter ihm, »das eilt doch nicht. Vielleicht sollten wir tatsächlich erst ein wenig hier bleiben, bis sich alle zurechtgefunden haben. Außerdem solltest du uns auch erst einmal vorstellen. Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei dieser jungen Dame um Selira handelt, von der du so viel erzählt hast?«
Dem kleinen Tileter stieg die Schamesröte bis über beide Ohren. »Ähem, ja …«, stotterte er, »Selira, das ist mein Freund Barat.«
»Willkommen zurück im Licht«, begrüßte dieser sie freundlich, »ich hoffe, du hast deine Entscheidung, die Oberfläche aufzusuchen, noch nicht bereut.«
Mit sichtbarer Mühe löste Selira ihren Blick von der gerade wiederentdeckten Welt um sie herum und schenkte dem alten Soldaten ein zurückhaltendes Lächeln. »Nein, das natürlich nicht, auch wenn es eine schwere Entscheidung war, die heiligen Hallen zu verlassen. Viele meiner Brüder konnten sich nicht dazu durchringen und sind zurückgeblieben. Sie werden Xelos’ Heiligtum in der Tiefe des Berges weiterhin bewachen. Vielleicht werden wir bald wieder zu ihnen
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