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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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gab es eine Kirche mit hoch aufragendem Schieferdach und einem Glockenturm, dessen Kuppel aus grün gemustertem Schiefer bestand.
    Als der Wagenzug das nächstgelegene Tor passiert hatte, sah Marie, dass die meisten Häuser noch nicht einmal ein gemauertes Fundament hatten, sondern zur Gänze aus Holz errichtet worden waren. Man hatte sich nur selten die Mühe gegeben, Bretter zu sägen, sondern die Gebäude aus Baumstämmen zusammengesetzt und mit Holzschindeln gedeckt. Dächer dieser Art waren in den meisten Städten des Deutschen Reiches wegen Feuergefahr vom Magistrat verboten worden. Viele Häuser waren mit blauer oder rötlicher Farbe bemalt worden, kaum eines hatte ein Obergeschoss, und bei etlichen hatte man die Fenster zur Straße herausgenommen und Tische vor ihnen aufgestellt, die mit allen möglichen Waren bedeckt waren. Maries Blick schweifte neugierig über das Angebot, das sie an die Märkte in und um den Schwarzwald erinnerte, auf denen zumeist die einheimischen Handwerker ihre Erzeugnisse anboten. Hier wurden Behälter aus Rinde verkauft und Becher, Schüsseln und Teller, die aus Birkenholz gedrechselt waren. Marktfrauen hielten geschnitzte Löffel und Schalen feil. An anderen Ständen gab es Felle und Pelze von verschiedenen Tieren, und vor einem lang gestreckten Hausbot ein beleibter Händler Honig, Wachs und dem Geruch nach auch Met an. Als der Verkäufer den Reisezug erspähte, nahm er einen großen Holzbecher, füllte ihn mit einer gelblichen Flüssigkeit und trat auf den Fürsten zu.
    »Willkommen in der Heimat, Väterchen Dimitri Michailowitsch! Lass dir diesen Met schmecken. Es ist ein gutes Tröpfchen, Herr. Du wirst mir gewiss zustimmen, nachdem du ihn gekostet hast.«
    Der Fürst ergriff den Becher, den der Mann ihm reichte, und gab ihn nach einem unmerklichen Zögern an Lawrenti weiter. »Andrej gebührt der erste Schluck. Immerhin hat er auf dieser Reise kühles Blut bewahrt.«
    »Sehr wohl, mein Fürst!« Lawrenti deutete im Sattel eine leichte Verbeugung an und lenkte sein Pferd zu seinem Neffen. Beiden war klar, dass diese Geste des Fürsten keine Auszeichnung darstellte. Dimitri hatte schlicht und einfach Angst vor Gift, und Lawrentis Erwähnung möglicher Spione im Dienste Moskaus hatte seine Furcht noch verstärkt. Andrej hielt das Verhalten des Fürsten für kindisch. Dimitri und er kannten den Metverkäufer seit Jahren und hatten schon manchen Becher bei ihm geleert. Der Mann war mit Sicherheit nicht so verrückt, den Fürsten vor den Augen seines Gefolges und etlicher Zuschauer vergiften zu wollen. Daher nahm er den Becher entgegen und hob ihn in Richtung des Spenders.
    »Auf dein Wohl, Grischa Batorijewitsch! Mögen deine Bienen immer so fleißig sein wie im letzten Jahr.« Dann setzte er an und trank, bis der Becher leer war, und drehte ihn anschließend um, damit es alle sehen konnten.
    »Der hat so gut geschmeckt, Fürst, dass ich dir leider nichts mehr übrig lassen konnte.«
    Einige der Edelleute sahen ihren Fürsten an und lachten dann vorsichtig auf. Dimitri warf Andrej einen Blick zu, als wolle er sich vergewissern, dass dieser wirklich nicht aus dem Sattelkippte, und winkte dann dem Methändler, auch ihm einzuschenken. Der beeilte sich, seinem Fürsten einen vollen Becher zu reichen. Dimitri nahm das Gefäß ohne Dank entgegen und drehte sich wieder zu Andrej um. »Es ist bekannt, dass du bereits als Kind mehr am Metfass genuckelt hast als an den Brüsten deiner Mutter, Andrej Grigorijewitsch. Als ich dir den Becher reichen ließ, war mir klar, dass kein Tropfen für mich übrig bleiben würde.«
    Die Bewohner von Worosansk, die zusammengelaufen waren, um ihren Fürsten zu begrüßen, wussten, was sie ihrem Herrn schuldig waren, und fielen in dessen Lachen ein. Andrej musste sich etliche anzügliche Bemerkungen über seinen Met- und Weinkonsum anhören, aber er sah den Leuten an, dass sie ihn nicht zuletzt auch deswegen für einen ganzen Kerl hielten.
    Fürst Dimitri fand, dass er sich schon zu lange aufhalten hatte lassen, und befahl seinen Begleitern, ihm zu folgen. Dann trieb er seinen Hengst zum Galopp, so dass die Umstehenden beiseite springen mussten, um nicht unter die Hufe des Pferdes zu geraten.
    Die Edelleute ritten einer nach dem anderen an, um sich in den engen Straßen nicht gegenseitig zu behindern. Andrej aber wurde von dem Methändler aufgehalten, der kurzerhand die Zügel seines Hengstes festhielt.
    »Auf einem Bein steht man schlecht, Andrej

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