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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ihren Gesichtern, als sie Alika wahrnahmen, ließen sie aber ebenso wie Marie und die Russin ungehindert passieren. Gelja führte sie zu dem größten Gebäude innerhalb des Zauns, welches über ein zusätzliches Stockwerk verfügte. Es handelte sich dabei, wie Marie den Worten ihrer Begleiterin entnehmen konnte, um die Wohnstatt der Fürstin.
    Die Doppelflügeltür und die Türpfosten waren reich mit Schnitzwerk bedeckt, und als die drei eintraten, fiel die Sonne in die Eingangshalle und ließ direkt vor ihnen ein edelsteinbesetztes Bild aufleuchten. Marie wandte sich im ersten Augenblick geblendet ab, dann blinzelte sie neugierig und erkannte zwischen all dem funkelnden Gepränge die Darstellung der Heiligen Jungfrau mit dem Jesuskind. Gelja sank auf die Knie und berührte den Rand des Bildes mit ihren Lippen. Danach bekreuzigte sie sich und stand wieder auf.
    Marie, die für einen Augenblick das Gefühl hatte, als heiße dieHimmelsmutter sie hier tröstend willkommen, tat es ihr nach und zwang dann auch Alika, dem Madonnenbild ihre Ehrfurcht zu erweisen. Ihre russische Begleiterin lächelte beinahe erleichtert, und die Fürstin, die unter einem Türstock auf ihren Sohn gewartet hatte, nickte zufrieden.
    Auch der Beichtvater des Fürstenpaars, der Anastasia hatte aufsuchen wollen, um ihre Heimkehr zu segnen, war Zeuge dieser Ehrenbekundung geworden und machte sich so seine Gedanken.
    »Ich will den Thronfolger sehen!«, forderte er Marie auf.
    Diese verstand seine Worte zwar nicht ganz, aber seine Geste war eindeutig. Als sie ihm das Kind hinhielt, deutete er auf die Tür, hinter die Anastasia sich wieder zurückgezogen hatte, und schritt voraus. Er führte sie durch einen Korridor, von dem eine Reihe von Türen abging, und dann durch mehrere, eher schlicht eingerichtete Räume in ein Zimmer, das wohl der Wohnraum der Fürstin war. Es enthielt fast ein Dutzend mit Heiligenbildern geschmückte Kisten und Truhen, Stühle, die mit dicken Kissen bedeckt waren, und ein schmales Ruhebett aus dunklem Holz, auf dem etliche Polster und eine dünne Decke aus schimmernder Seide lagen. An den Wänden hingen so viele Bilder der Muttergottes und anderer hoher Heiligen des Christentums, dass der Raum eher einer Kapelle als einem Wohnraum glich.
    Pantelej wies Marie mit Gesten an, den kleinen Wladimir auf das Ruhebett zu legen und die Windeln zu öffnen. Dann wandte er sich an die Fürstin. »Dein Sohn gedeiht, meine Tochter. Die Deutsche nährt ihn gut und pflegt ihn, als sei er ihr eigenes Kind. Nun bin ich überzeugt, dass Gott sie zu uns geführt hat, denn nur durch diese besondere Gnade ist der Thronfolger noch am Leben.«
    Die Fürstin presste unwillkürlich die Hand auf ihren Bauch, der von Tag zu Tag stärker schmerzte, und nickte bleich.
    »Wenn dem Spross seiner Lenden ein Leid geschähe, würde mein Gemahl außer sich vor Zorn sein und es mich entgeltenlassen. Er ist beinahe schon überzeugt, ich hätte ihm ein schwächliches Kind geboren und könne ihm auch keine weiteren Söhne mehr schenken.«
    Anastasia kamen bei der Erinnerung an die Wutanfälle ihres Ehemanns, der es nicht bei bösen Worten belassen hatte, die Tränen. Obwohl sie versuchte, ihre Gefühle in sich zu verschließen, spürte Pantelej, dass Angst und Verzweiflung Gewalt über sie zu gewinnen drohten, und fasste nach ihrer Hand. »Gräme dich nicht, meine Tochter. Gott will nicht, dass dem Prinzen etwas zustößt. Hat er Wladimir nicht auch diese lange, beschwerliche Reise überstehen lassen?«
    Anastasia beugte sich über ihren Sohn und musterte ihn, als wolle sie tief in sein Inneres schauen. Tatsächlich war der Junge selbst auf der Reise in dem holpernden Wagen kräftiger geworden und sah so gesund und munter aus, wie sie ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Bisher hatte sie bei seinem Anblick weniger Zuneigung empfunden als Erleichterung, ihrem Gemahl den verlangten Erben geschenkt zu haben. Jetzt aber fühlte sie, wie eine Glückswelle sie durchströmte. Lächelnd streckte sie ihre Hand aus und kitzelte das winzige Kinn des Kleinen. Im Reflex fasste er zu, umklammerte den Finger mit seinem winzigen Händchen und lachte glucksend.
    Nun wurde der Fürstin warm ums Herz. »Mein Guter, mein Schatz, mein Lieber!«, gurrte sie, wie stolze Mütter es tun, und sah, dass Wladimir sie dabei aufmerksam beobachtete.
    Lächelnd blickte sie zu dem Priester auf. »Siehst du, ehrwürdiger Vater! Mein Sohn ist jetzt schon ein kluges Kind.«
    Pantelej schlug das Kreuz

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