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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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nur abgerissen, doch diesmal wollte sie sorgfältiger vorgehen, um nur die wirksamsten Teile zu sammeln.
    Andrej reichte ihr nach kurzem Zögern die Waffe und sah ihr dann interessiert über die Schulter. Marie schnitt zwei Hände voll von den helleren Blättern ab, warf sie in das Tuch, das Alika ihr hinhielt, und wanderte dann aufmerksam den Boden betrachtend am Waldrand entlang. Aus den Augenwinkeln sah sie einige der vertriebenen Dörfler zwischen den Bäumen auftauchen und hörte ihre zornigen Stimmen, die wohl wilde Schmähungen gegen sie und ihre Begleiter ergossen.
    Einige der Krieger zogen ihre Waffen und wollten auf die Leute losgehen, doch Andrej rief sie mit scharfer Stimme zurück.
    »Stehen bleiben, ihr verdammten Holzköpfe! Begreift ihr denn nicht, dass die Kerle uns tiefer in den Wald locken und dort abmetzelnwollen, um sich für die schlechte Behandlung durch unseren Fürsten zu rächen? Bei Gott, ich verstehe die Bauern sogar. So wie wir sollte man sich bei seinen Nachbarn nicht aufführen.«
    »Es sei denn, wir lägen mit ihnen im Streit, Andrej Grigorijewitsch«, antwortete der Älteste, der vorhin den Fürsten kritisiert hatte.
    »Derzeit herrscht noch Frieden. Doch wenn Dimitri Michailowitsch sich weiterhin jedermann zum Feind macht, haben wir den Krieg schneller am Hals, als uns lieb sein kann. Achtet einfach nicht auf diese Tölpel, dann hören sie irgendwann einmal auf zu plärren.«
    Andrejs Prophezeiung war richtig; als die Dörfler erkannten, dass sie die Worosansker Krieger nicht zu einer Unvorsichtigkeit reizen konnten, zogen sie sich zurück. Kurz darauf war Alikas Tuch voll und Marie beendete ihre Suche. Als sie sich auf den Rückweg machten, stand die Sonne, die in dieser Gegend länger schien als über Konstanz oder Kibitzstein, schon dicht über dem Horizont, und einige Krieger gähnten demonstrativ.
    Auch Marie fühlte sich so müde, dass sie am liebsten sofort eingeschlafen wäre. Doch sie ließ Alika das Feuer auf dem Herd des Hauses schüren, das Dimitri für seine Gemahlin und deren Gefolge requiriert hatte, und bereitete die Medizin für den Jungen. Zu Maries Erleichterung saugte Wladimir die Flüssigkeit gierig aus dem Tuch und nuckelte dann zufrieden an ihrer Brust. Als er satt war, übergab sie ihn Alika, die ihn wickelte und in seine Wiege bettete, während Lisa den Rest von Maries Milch erhielt. Das Mädchen schlief danach ohne Probleme ein. Der kleine Prinz aber quengelte und drohte mit seinem Geschrei die Fürstin aufzuwecken, so dass Marie und Alika ihn abwechselnd herumtrugen, bis er endlich die Augen schloss. Erst dann ließen sich seine beiden Pflegerinnen todmüde auf ihren Strohsack sinken.

VII.
     
    F ürst Dimitri schleifte Sachar Iwanowitsch bis vor die Tore von Worosansk und machte dann Anstalten, ihn eigenhändig zu erschlagen. Andrej aber trat dazwischen, auch wenn er damit riskierte, den Zorn seines Herrn auf sich zu ziehen, und bat ihn, Moskau nicht ohne Rücksprache mit Fürst Juri von Galic zu reizen. Das brachte Dimitri zur Besinnung, und er entließ die Geiseln mit einem Wust von Beschimpfungen, die Sachar Iwanowitsch zu seinem eigenen Besten nicht erwiderte. Der Bojar wendete brüsk sein Pferd und ritt an der Spitze seiner kleinen Schar davon.
    »Die Gastfreundschaft hätte geboten, Sachar und seine Leute einzuladen, über Nacht bei uns zu bleiben, Väterchen Dimitri Michailowitsch.« Lawrenti wusste, dass es ein Fehler war, in dieser Situation den Mund aufzumachen, doch er konnte sich diesen Tadel nicht verkneifen.
    Dimitri richtete seinen Zorn nun auf ihn statt auf Andrej.
    »Hätte ich mit diesem Schurken vielleicht Brot und Salz teilen sollen?«
    »Ja! Dann hätte er nämlich nach Moskau berichten müssen, dass er von dir gastfreundlich aufgenommen worden ist, und das hätte das Misstrauen der Moskowiter ebenso gegen ihn geweckt, als wenn er ihnen den Aufenthalt in Worosansk verschwiegen hätte. Wassilis Vormunde haben genügend Spione in unserer Stadt, die ihnen getreulich alles berichten, was in Worosansk geschieht.«
    »Was weißt du von diesen Spionen? Nenne mir ihre Namen, Lawrenti, und sie werden unter der Knute bereuen, für dieses Kind herumgeschnüffelt zu haben.« Der Fürst starrte seinen Waffenträger auffordernd an, doch Lawrenti konnte nur hilflos die Hände heben.
    »Es leben bald fünftausend Menschen in diesen Mauern und mindestens zehnmal so viele Bauern im Land. Selbst ich kennenicht jeden von ihnen persönlich, und von vielen

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