Das Vermächtnis der Wanderhure
verwundert den Kopf.
»Ist man am Hofe des Fürsten so arm geworden, dass du solche Sachen tragen musst?«
»Für eine Sklavin wie mich sind sie gut genug«, antwortete Marie bitter.
Die alte Frau musterte sie nachdenklich. »Es kränkt dich, eine Sklavin zu sein. Ich habe es bereits bemerkt, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, und die Zeit hat deinen Schmerz nicht geheilt. Ich sehe den Tag kommen, an dem du etwas Unbesonnenes tun wirst. Dennoch wünsche ich dir Glück.«
Es war, als könne sie Maries Gedanken lesen, denn sie hob die Hände. »Ich werde dich jedoch nicht unterstützen und lasse auch nicht zu, dass du irgendwelche Dinge bei mir verbirgst, die man im Kreml nicht zu Gesicht bekommen darf. Käme ich in den Verdacht, dir geholfen zu haben, würde man mich mit dir oder an deiner Stelle mit dem Tod bestrafen.«
Marie senkte den Kopf, damit die alte Frau nicht sehen konnte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Die Kräuterfrau war die einzige Person gewesen, an die sie sich hatte wenden können, und die Hoffnung, die sie gehegt hatte, war nun zerplatzt.
»Deswegen bist du doch zu mir gekommen, nicht wahr? Um mich um einen Gefallen zu bitten!« Wassilissas Stimme klang freundlich, beinahe mitfühlend, doch Marie sah ihr an, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde. Daher verneinte sie die Frage und goss sich einen Becher Kräutertee aus dem Kessel ein, der auf einem einfachen Lehmziegelherd stand.
»Ich bin gekommen, um deinen Rat zu erbitten. Die Fürstin ist endlich wieder schwanger und fürchtet, dass es Probleme geben könnte.«
»Nicht zu Unrecht, denn beim letzten Mal war auch ich mir nicht sicher, ob sie das Kind behalten würde, und als es zur Geburt kam, hätten wir beinahe sie und den Jungen verloren. Doch mit der Hilfe der Heiligen Jungfrau« – Wassilissa bekreuzigte sich bei diesen Worten – »ist es uns gelungen, sie und Wladimir am Leben zu erhalten. Fürst Dimitri war damals so erregt, dass er gedroht hat, mich und ihre Mägde dem Kind nachzuschicken, wenn es uns nicht gelänge, den Jungen zu retten, und ich bin mir sicher, dass er uns eigenhändig umgebracht hätte.«
Marie verschluckte sich beinahe an ihrem Tee, an diese Gefahr hatte sie noch gar nicht gedacht. Wenn Anastasia und ihr Kind die Geburt nicht überlebten, konnte es durchaus sein, dass Dimitri seinen Zorn an ihr und den anderen Geburtshelferinnen ausließ. Zu was er fähig war, hatte sie bei Darjas Hinrichtung erlebt.
»Ich sollte dir wünschen, dass dir vorher die Flucht gelingt. Ich werde den Kelch wohl bis zum bitteren Ende leeren müssen.« Wassilissa seufzte, zuckte schicksalsergeben mit den Schultern und füllte ihren Becher. Dann setzte sie sich auf ihr Bett, damit Marie den einzigen Schemel benutzen konnte.
»Ich zähle dir die Krankheitszeichen auf, die ich bei Anastasiaentdeckt habe, und alles, was ich tun konnte, um ihr zu helfen. Damals hat Fürst Dimitri sich vor lauter Misstrauen geweigert, Ärzte aus Nowgorod, Pskow oder gar aus Moskau holen zu lassen, und so musste ich mich ganz auf mein Wissen und meine Erfahrung verlassen. Vielleicht kannst du mir sagen, was wir diesmal besser machen können.«
Die Kräuterfrau begann mit gleichmütiger Stimme zu berichten, als handele es sich um die Leiden einer Magd, doch sie taute auf, als sie bemerkte, dass Marie sich tatsächlich um die Gesundheit der Fürstin sorgte, und es entspann sich ein angeregtes Gespräch. Für eine Weile war es, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt als Anastasias Schwangerschaft, doch mit einem Mal hob Wassilissa den Kopf und blickte Marie mit gerunzelter Stirn an.
»Du bist doch gut mit Andrej Grigorijewitsch bekannt, dem Neffen des Schwertträgers Lawrenti.«
»Ich teile nicht das Bett mit ihm, wenn du das meinst!« Maries Stimme klang gekränkt.
Ihre Bemerkung reizte die Alte zu einem Kichern. »Jetzt hab dich nicht so! Andrej würde wohl gerne mit dir unter die Decke schlüpfen, auch wenn du einige Jahre älter bist als er.«
»Ich könnte seine Mutter sein!«, behauptete Marie.
»Eine hübsche Mutter! Du bist ein ansehnliches Weib, Marija, auch wenn du dies klugerweise zu verbergen suchst. Man nennt Fürst Dimitri nicht umsonst den Bullen von Worosansk, und es heißt, er soll nicht gerade zärtlich sein, weder zu seinen Bettgespielinnen noch zu seiner Ehefrau.«
»Das weiß ich! Meine Freundin Alika musste ihn lange genug ertragen.« Marie ärgerte sich ein wenig, denn sie war nicht hier, um mit
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