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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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bleiben, während wir uns hier den Arsch abfrieren.«
    »Ich werde mich darum kümmern!« Marie setzte ein Lächeln auf und nickte dem Wächter aufmunternd zu. In ihrem Kopf aber hörte sie Alarmhörner blasen. Es konnte vorkommen, dass ein Krieger zu spät zur Ablöse kam, doch dabei handelte es sich höchstens um die Zeit, die er auf dem Abtritt verbrachte oder noch einen Becher leerte. Jedes längere Verweilen zog nämlich empfindliche Strafen nach sich. Die beiden Wachen aber wirkten so verfroren, als hätte man sie schon Stunden über ihre Zeit hier stehen lassen. Das jedoch hätte Dimitris Offizieren auffallen müssen, denn diese kontrollierten regelmäßig die Wachen und wichtige Teile des Kremls. Wahrscheinlich, dachte Marie, kommt es den Wächtern nur so vor, als hätte man sie vergessen, denn der heutige Tag ist noch kälter als die vorhergehenden. Da der Wind so eisig über die freien Flächen jagte, als wolle er alles Leben erstarren lassen, beschleunigte sie ihre Schritte, um nicht im Gehen zu erfrieren.
    Dabei schossen ihr Wassilissas Vermutungen durch den Kopf. Die Spuren, die die Kräuterfrau entdeckt hatte, mussten ganz frisch gewesen sein, das unaufhörliche Schneetreiben hätte sie sonst längst wieder aufgefüllt. Also konnte das fremde Heer kaum mehr als eine Stunde, bevor Wassilissa Beeren gesucht hatte, an jener Stelle vorbeigezogen sein, die abseits jeder Straße lag.
    Marie sah sich außerstande, dieses Rätsel zu lösen. Wenn sie jemandem davon erzählte, würde sie sich nur Spott und vielleicht auch einen Schlag mit dem Stock einhandeln. Daher beeilte siesich, ins Warme zu kommen. Als sie das Tor des Terems erreichte, erinnerte sie sich daran, was sie den Wachen versprochen hatte, stemmte sich gegen den Wind und ging weiter zum Quartier der russischen Soldaten. Sie öffnete die Tür des Saales und sah, dass die Männer sich auf den Bänken, ihren Schlafplätzen oder einfach auf dem Boden herumflegelten und den Inhalt eines Fasses schmecken ließen, das mitten im Raum aufgebockt stand.
    Als einer von ihnen Marie entdeckte, erhob er sich und torkelte auf sie zu. »Na, meine Süße, wollen wir nicht ein wenig unsere Bäuche aneinander reiben? Mir wäre so richtig danach.«
    Mir aber nicht, dachte Marie und entzog sich den nach ihr greifenden Armen. Der Kerl blieb jedoch hartnäckig, und ein paar seiner Kameraden sahen so aus, als wollten sie ihm helfen, sie zu fangen, und dann weitermachen, wo er aufgehört hatte. Rasch schlüpfte sie wieder hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Die Wachen am Tor würden wohl noch länger auf Ablösung warten müssen. Sie bedauerte die Männer ein wenig, doch wenn es den Hauptleuten des Fürsten nicht gelang, die Disziplin unter ihren Soldaten aufrechtzuerhalten, so war das nicht ihre Sache. Mit diesem Gedanken lief sie hinüber zum Terem und suchte ihre Kammer auf. Alika wiegte gerade den Thronfolger in den Schlaf, während Gelja die kleine Lisa neu wickelte.
    »Es ist kein guter Tag heute«, murmelte die Russin. »Es geht Böses vor. Das spüre ich bis in die Haarspitzen!«

IV.
     
    A ndrej saß neben dem Popen Pantelej, hielt einen vollen Becher in der Hand und starrte Wasja an, der auf dem Fußboden lag und hilflos mit Armen und Beinen ruderte. Nachdem Dimitri sein bevorzugtes Opfer dazu verurteilt hatte, sechs große BecherBranntwein hintereinander zu trinken, war der junge Mann halb bewusstlos zu Boden geglitten und nicht mehr in der Lage, sich aufzusetzen. Nun schien Wasjas Magen die Last loswerden zu wollen, denn er wand sich und würgte, brachte das Erbrochene jedoch nicht aus dem Schlund.
    Der Fürst und die anderen Gefolgsleute sahen gespannt zu, wie der junge Mann sich hilflos krümmte, und brüllten dabei vor Lachen. Keinen von ihnen schien zu interessieren, dass Wasja jeden Augenblick zu ersticken drohte. Nur Andrej begriff, in welcher Gefahr sein Freund steckte, und sprang auf. Bevor einer der anderen ihn hindern konnte, packte er den Betrunkenen und zerrte ihn zur Tür hinaus. Draußen drehte er ihn auf den Bauch, so dass Wasja das Erbrochene von sich geben konnte. Andrej schüttelte ihn so lange, bis der Magen seines Freundes leer sein musste und dessen Gesicht wieder eine halbwegs normale Farbe angenommen hatte. Dann brachte er ihn in sein Quartier und legte ihn so auf seine Schlafstatt, das er notfalls erbrechen konnte, ohne daran zu ersticken. Auf dem Flur hielt er den ersten Knecht auf, der ihm begegnete, und befahl ihm, auf Wasja

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