Das Vermächtnis der Wanderhure
Edelleuten in der halb aufgebauten Burg zu beherbergen. Darf ich Euch Fürstin Anastasia von Worosansk vorstellen und ihren getreuen Ritter Andrej – oder Andreas, wenn Euch der fremde Name nicht über die Zunge kommen will.«
Ritter Heinrich hatte sich eben auf dem von Hannes herbeigebrachtenStuhl niedergelassen, schoss aber jetzt hoch und verbeugte sich so tief vor Anastasia, wie es einer Dame von so hohem Rang zukam. Andrej streckte er die Hand hin. »Ich hoffe, es kränkt Euch nicht, wenn ich Euch Andreas nenne. Der andere Name will mir nicht so recht über meine deutsche Zunge gleiten.«
Zu seiner Verwunderung sprach Marie den Ritter in einer fremden Sprache an. Da er seinen Namen heraushörte, nahm Ritter Heinrich an, dass sie seine Worte übersetzte.
»Ihr besitzt viele Talente, Frau Marie. Da wundert es mich nicht, dass Ihr immer wieder auf Eure Füße fallt.« Ritter Heinrich fragte sich, wie seine Frau mit einer solchen Situation zurechtgekommen wäre. Obwohl sie seine bisher recht geringen Besitztümer geschickt verwaltete und seine Söhne zu aufrechten Menschen erzog, hätte sie ein Schicksal, wie Marie es durchlebt hatte, wohl kaum gemeistert. Er konnte seine Neugier kaum noch im Zaum halten. Aber er wollte Haltung bewahren und kam zuerst auf die Belange zu sprechen, die auch ihn betrafen.
»Herr Ludwig von der Pfalz hat mir eine Audienz gewährt und mir dabei berichtet, Frau Hulda würde Euren Sohn als den ihren ausgeben.« In seinen Worten schwang unverkennbarer Zweifel mit.
»Das stimmt. Seht Euch das Mädchen dort an.« Marie wies auf Lisa, die ihren Kampf um die Klötzchen gegen Wladimir gewonnen hatte. »Sie ist die siebte Tochter Eures Vetters und seiner Frau. An ihre Stelle hat Hulda meinen Sohn gesetzt.« Bei der Erinnerung musste sie mit den Tränen kämpfen, und sie berichtete Ritter Heinrich, was ihr auf der Otternburg zugestoßen war.
Hettenheim hörte ihr schweigend zu und sank schließlich vor ihr auf die Knie. »Bei Gott, dieses Weib muss wahnsinnig geworden sein! Ich werde nie wieder gutmachen können, was meine Verwandte an Euch verbrochen hat. Doch seid versichert, dass Ihr nie einen treueren Freund finden werdet als mich!«
VI.
D rei Tage später erreichte Rumold von Lauenstein die Stadt und wurde nach seiner Ankunft sofort zum Pfalzgrafen geführt. Ludwig hockte wie ein gereizter Bär auf seinem Stuhl. »Da seid Ihr ja endlich! Ihr habt Euch viel Zeit gelassen.«
Lauenstein verbeugte sich und hielt den Kopf gesenkt. »Mein Herr, Ihr habt nach mir gerufen?«
»Und das schon vor mehr als drei Wochen! Wo ist Eure Tochter?«
»Hulda ist erkrankt und nicht in der Lage zu reisen.« Als Diplomat und Ratgeber seines Herrn war Rumold von Lauenstein ein geschickter Lügner. Trotzdem hielt er seine Stimme nicht so in der Gewalt, wie er es sich gewünscht hätte.
Der Pfalzgraf hieb mit der Faust auf die Stuhllehne. »Mein Befehl war eindeutig! Notfalls hättet Ihr Eure Tochter in einen Wagen legen müssen.«
»Wir haben befürchtet, es wäre die Pest, und sie daher samt ihrer Leibmagd in ihren Gemächern eingesperrt.« Lauenstein spielte einen Trumpf aus, der im ersten Augenblick auch zu stechen schien, denn Herr Ludwig zuckte vor ihm zurück und sah ganz so aus, als wolle er ihn aus dem Zimmer weisen lassen.
Dann hatte der Wittelsbacher sich wieder in der Gewalt. »Die Seuche also. Nun, vielleicht ist es das Beste, sie stirbt daran, das würde mich eines Teils meiner Probleme entheben.«
Lauenstein wusste genau, dass seine Tochter gesünder war als in ihrer Ehe mit Ritter Falko. Nicht zum ersten Mal verfluchte er Huldas Täuschungsspiel, mit dem sie sich das Erbe hatte erhalten wollen. Zum Glück war er von einem Freund vorgewarnt worden und hoffte das Verhängnis, das er am Horizont aufziehen sah, abwenden zu können.
»Ich bete zu Gott dem Herrn, dass meine Tochter wieder gesund wird, Euer Gnaden.«
»Ich will sie hier haben!« Die Stimme des Pfalzgrafen nahm noch an Schärfe zu.
»Sie wird nicht kommen, Herr.« Die Worte entwichen Lauenstein schneller, als er sie zurückhalten konnte.
Sein Herr beugte sich interessiert vor. »Und warum wird sie nicht kommen?«
Lauenstein wurde mit Schrecken bewusst, dass sein Einfluss auf Ludwig von Wittelsbach im Schwinden begriffen war. Zumindest an diesem Tag sah sein Herr ihn nicht mehr als vertrauten Freund an, sondern als ein Ärgernis, das aus dem Weg geräumt werden musste. Auch das hatte er seiner renitenten Tochter zu
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