Das Vermächtnis der Wanderhure
verdanken. Er wollte den Zorn des Pfalzgrafen mit geschmeidigen Worten vertreiben, doch sein Herr schnitt ihm schon die erste Silbe auf den Lippen ab.
»Gegen Eure Tochter sind schlimme Anklagen erhoben worden. Entsprechen diese der Wahrheit, wird sie auf dem Scheiterhaufen enden!«
»Darf ich fragen, wer welche absurden Vorwürfe gegen Hulda erhebt?« Lauenstein hatte die Worte kaum ausgesprochen, da geschah genau das, was er seit jenen Tagen in der Otternburg befürchtet hatte: die Tür ging auf und Marie Adlerin trat ein.
»Ich erhebe diese Anklagen!«
Sie muss draußen gelauscht haben, dachte Lauenstein wütend und erinnerte sich daran, dass dieses Weib eine gewisse Übung darin besaß, an Türen zu horchen. Am liebsten hätte er sie gepackt und ihr den Hals umgedreht. Stattdessen deutete er eine Verbeugung an und mimte den Ahnungslosen. »Ach, Ihr seid das, Frau Marie! Euer Gemahl hat doch berichtet, Ihr wärt tot.« »Es dürfte Eurer Tochter wohl sehr missfallen, mich am Leben und wieder im Reich zu wissen. Ich bin gekommen, um mein Eigentum von ihr zurückzuholen!« Marie maß Lauenstein mit einem Blick, der einem schleimigen Wurm hätte gelten können.
»Ich weiß nicht, was Ihr damit meint! Wohl spricht meineTochter nicht gerade in freundlichen Worten von Euch, doch sie hat Euch gewiss weder Schmuck noch Gold weggenommen.« Dann wandte Lauenstein sich an den Pfalzgrafen. »Jetzt, fürchte ich, gibt es wohl ein großes Problem, denn Seine erhabene Majestät, Kaiser Sigismund, hat ja darauf bestanden, für Frau Maries Gemahl eine zweite Ehe zu stiften. Nun hat der wackere Michel Adler zwei Frauen, und das ist nach den Gebräuchen unserer heiligen Kirche eine zu viel. Dürfte ich einen Vorschlag machen? Vielleicht vermögt Ihr die Herren der Kurie dazu zu bewegen, dem Reichsritter auf Kibitzstein Dispens zu erteilen, damit er mit beiden Weibern zusammenleben kann. Da gibt es nämlich einen Präzedenzfall aus einem der Kreuzzüge. Ein Ritter, der damals von den Heiden versklavt worden war, wurde durch eine sarazenische Jungfrau befreit, der er in seiner Not versprochen hatte, sie dafür zu seinem Weib zu nehmen. Leider hatte er aber daheim schon eine Gemahlin, und als er frei und in Sicherheit war, wusste er nicht, wie er den Eid, den er der Sarazenin geschworen hatte, halten sollte. Da es um sein Seelenheil ging, hat Seine Heiligkeit in Rom ihm die Erlaubnis erteilt, die junge Sarazenin zu seinem Weibe zu nehmen, so seine erste Gemahlin bereit wäre, ihn mit ihr zu teilen. Wenn Ihr also …«
Die Faust des Pfalzgrafen klatschte ein drittes Mal auf die Stuhllehne. »Mit Ablenkungsmanövern und Ausflüchten seid Ihr schon immer schnell bei der Hand gewesen, Lauenstein! Hier geht es nicht um die beiden Ehen des Herrn Michel, sondern um das Lehen Hettenheim. Frau Marie behauptet, Euer Enkel wäre ihr Sohn!«
»Ein absonderlicher Gedanke! Ich weiß nicht, wie die Dame darauf kommt.« Lauenstein spielte seine ganze Erfahrung als Diplomat aus.
Marie verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn verächtlich an. »Wollt Ihr Eure Enkelin begrüßen?«
Das kam so unerwartet, dass Lauenstein sich unwillkürlich zur Tür wandte. Aber dort war niemand zu sehen.
Huldas Vater begriff, wie nahe er daran gewesen war, sich zu verraten. »Habt Ihr eine von Huldas Töchtern nach Nürnberg rufen lassen, mein Herr? Davon wusste ich nichts.«
Nun war Marie klar, woher der Wind wehte. »Ihr seid mit Hulda im Bunde!«
Der Pfalzgraf musterte den Mann, der ihm so lange treu gedient hatte, mit wachsendem Misstrauen. »Lauenstein, Ihr seid ein verdammter Lügner! Bei Gott, Ihr wisst, wie sehr ich Euch immer geschätzt habe. Nach Ritter Falkos Tod war ich gewillt, Heinrich von Hettenheim das Lehen unter der Bedingung zu überlassen, dass sein Erbe Eure älteste Enkelin zur Frau nimmt. Ihr aber habt mich angefleht, zu warten, bis klar war, ob Eure Tochter einen Sohn zur Welt bringen würde. Das ist dann angeblich auch der Fall gewesen, und ich habe Euch mehr geglaubt als all denjenigen, die mich vor einem Betrug gewarnt haben.«
Lauenstein spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Der Anklage, die bis jetzt noch nicht ausgesprochen worden war, nämlich Maries Entführung und Verschleppung, konnte er nach Lage der Dinge kaum noch etwas entgegensetzen, und er sah Ludwig von Wittelsbach an, dass dieser davon wusste. Auch war zu vielen bekannt, dass Marie Adlerin zur selben Zeit schwanger gewesen war wie seine Tochter.
Weitere Kostenlose Bücher