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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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waren Michel in den Turm gefolgt, blieben aber zu ebener Erde stehen und starrten erschrocken auf das brennende Gebälk. »Das kann Michel nicht schaffen. Die Treppe bricht gleich zusammen«, schrie Heribert gegen das Prasseln der Flammen an.
    »Dann müssen wir das verdammte Ding stützen, bis er herunterkommt!« Heinrich von Hettenheim hob den Schild über den Kopf und stemmte ihn gegen einen Querbalken, der sich bereits verdächtig bog. Sein Freund folgte dem Beispiel und betete dabei zu Gott und allen Heiligen, dass Michel zurückkam, bevor das Gemäuer über ihren Köpfen einstürzte.
    Die nächsten Augenblicke dehnten sich für die beiden Männer zu Stunden. Rauch drang in ihre Lungen und reizte ihre Augen, bis sie tränten. Funken und glühende Holzstücke fielen auf sieherab und brannten sich durch die Waffenröcke, die sie über ihren Rüstungen angezogen hatten.
    Als ein Glutbrocken unter die Stulpe seines rechten Handschuhs geriet und ihm den Handrücken versengte, stieß Ritter Heinrich ein paar bösartige Flüche aus. »Lange halten wir das nicht mehr durch!«
    »Nur noch einen Augenblick«, stöhnte Heribert, dessen Schild schon sichtlich zitterte.
    Der Seibelstorffer hatte die Worte gerade hinausgestoßen, als über ihnen ein Schatten aus der Feuerhölle auftauchte. Michel stolperte die restlichen Stufen hinab, fiel auf die Knie und hatte nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten. Ritter Heinrich ergriff ihn mit der freien Hand, obwohl er das Glutstück dadurch noch tiefer in sein Fleisch presste, und riss ihn hoch.
    »Wir müssen gleichzeitig loslassen«, schrie er Heribert zu.
    »Jetzt!«
    Beide sprangen zurück, als die Treppe, die sie bis eben gehalten hatten, herabstürzte und ihr die restlichen Geschosse des Turmes folgten. Während das Gemäuer über ihnen zusammenbrach, zerrten sie Michel und das schlaffe Bündel, das er umklammert hielt, auf den Eingang zu. Dabei prasselten Glut und Steine auf sie herab und drohten sie unter sich zu begraben. Geistesgegenwärtig griffen die Waffenknechte zu, die draußen gewartet hatten, und zogen die Männer und das Kind aus der Gefahrenzone. Michel hatte das Bewusstsein verloren und musste von mehreren Kriegern weggetragen werden, während seine selbstlosen Helfer hustend und keuchend am Boden lagen und nach Luft rangen.
    Marie sah die schlaffe Gestalt ihres Mannes und rannte trotz des hinderlichen Kettenhemds drei Stufen auf einmal nehmend die Treppe zum Wehrgang hinab. Unten beleuchtete das Licht des brennenden Turmes sein von Ruß und Blut entstelltes Gesicht. Sie presste entsetzt die Hände vor den Mund, um die Schreie zuunterdrücken, die sich in ihrer Kehle ballten. Mühsam riss sie sich zusammen und herrschte die Männer an, die ihn trugen.
    »Kümmert ihr euch um meinen Gemahl!«
    Sie wand Michel das Kind aus den verkrampften Händen und hielt zum ersten Mal ihren Sohn in den Armen. Der Knabe fühlte sich so schlaff an, als sei er tot. Einen Herzschlag lang verging Marie vor Angst, ihn verloren zu haben, doch da rang er keuchend nach Luft und starrte die für ihn fremde Frau verängstigt an.
    Marie jubelte auf und hob ihn dann über den Kopf. »Kannst du mich noch hören, Hulda von Hettenheim? Mein Sohn lebt, und ich habe ihn zurück! Doch du wirst in den Feuern der Hölle schmoren!«
    Heinrich von Hettenheim ließ sich von seinem Knappen auf die Beine helfen und trat neben Marie. »Sie kann dich nicht mehr hören. Das Weib war eine Hexe und ist wie eine solche zugrunde gegangen!«
    Seine Worte stellten die einzige Grabrede dar, die für Hulda von Hettenheim gesprochen wurde. Die Männer wandten den immer noch brennenden und stark rauchenden Trümmern, unter denen Maries Feindin ihr Ende gefunden hatte, den Rücken zu und machten sich bereit, den Donjon zu stürmen. Es war jedoch nicht mehr nötig. Die Tür über der Treppe öffnete sich, und eine sichtlich verschreckte Magd schob ein vielleicht siebenjähriges Mädchen auf die oberste Treppenstufe. Die Kleine schien beim Anblick der Krieger hinter die Röcke der Frau flüchten zu wollen, dann aber knickste sie unbeholfen und bat mit tränenerstickter Stimme um Gnade.
    Dietmar von Arnstein, der das Kommando übernommen hatte, sah Marie fragend an. Sie kämpfte kurz mit sich, drängte dann ihre Rachegedanken zurück und warf den Kopf mit einer energischen Geste hoch. »Wenn mein Mann überlebt, sollen die Leute geschont werden. Sie haben sich sofort zu ergeben!«

XV.
     
    D ie Magd, die den Angreifern

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