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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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doch ihr Gesicht wirkte wie versteinert.
    »Wenn ich kann, werde ich es dir ermöglichen.«
    Nun überwand Michel seine Scheu, zog Marie kurz an sich und verließ nach einem Kuss auf ihre Stirn das Zelt, um ein passendes Kettenhemd und ein Schwert für sie aufzutreiben. Unterdessen setzte Ritter Heinrich das geplante Täuschungsmanöver fort. Ein kleiner Teil der Männer sollte unter dem Kommando seines Sohnes und des jungen Arnsteiners zurückbleiben und den Anschein erwecken, als würden sie alle Vorräte verbrennen, die sie nicht mitnehmen konnten. Dabei sollten sie sich lautstark streiten, um die Aufmerksamkeit der Burgbesatzung auf sich zu lenken. Mit diesem Trick hoffte er, den Anmarsch der Sturmtruppe so lange wie möglich geheim zu halten.
    Die Winternacht brach unvermittelt an und war so düster, dass man kaum die Hand vor Augen, geschweige denn die Hindernisse auf dem Weg erkennen konnte. Michel und Ritter Heinrich fluchten leise vor sich hin, unter diesen Umständen würde es ihnen kaum möglich sein, unbemerkt bis an die Burgmauern heranzukommen.
    Aber es gab kein Zurück. Einige Männer waren bereits in Böhmen dabei gewesen und wussten, worauf es ankam. Sie schärften ihren Kameraden ein, leiser zu sein als ein Mäuschen, undzeigten ihnen, wie sie ihre Waffen und die Leitern halten mussten, damit kein Klirren und Scheppern von Rüstungsteilen sie verriet.
    Auf dem Turm und den Mauern der Otternburg wurden Fackeln und Brandkörbe entzündet, um eine unbemerkte Annäherung der Feinde zu verhindern. Doch das Licht der Flammen war zu schwach, um von oben etwas erkennen zu können, und half daher den Angreifern, denn auf dem Schnee malte sich ein schwacher, flackernder Schein ab, der der Truppe den Weg erleichterte. Nach einer Weile frischte der Wind auf und zerriss die Wolkendecke. Der Mond, der wie eine schmale Sichel aus gehämmertem Silber durch die Wolkenlücke schien, spendete ebenfalls etwas Licht, so dass die Soldaten auch an den schattigeren Stellen ihre nächste Umgebung erkennen konnten. Michel und die anderen Anführer wiesen ihre Leute an, noch vorsichtiger zu sein. Bei dieser Aktion ging es nicht um Schnelligkeit, sondern darum, so spät wie möglich entdeckt zu werden.
    Einer der Männer rutschte auf einem glatten Wegstück aus, doch bevor er fallen konnte, griffen zwei seiner Kameraden zu und hielten ihn fest. Das ging nicht ganz ohne Geräusche von sich, aber just in dem Augenblick schwoll der Lärm im Lager an und die lauten Stimmen des jungen Hettenheimers und Grimald von Arnsteins übertönten das Brechen der gefrorenen Zweige. Einer der beiden hieß den anderen einen Feigling und forderte lauthals den Sturm auf die Burg, während der andere das Ansinnen mit ebenso viel Gebrüll ablehnte. Um sie herum machten die zurückgebliebenen Knechte so viel Lärm, dass es sich anhörte, als sei das ganze Lager in Aufruhr.
    Michel atmete auf. Die beiden jungen Burschen waren höchst verärgert gewesen, weil sie nicht am Sturm teilnehmen durften, und schienen ihre Wut darüber in dem angeblichen Streit abzureagieren. Gerade deswegen klang die Auseinandersetzung völlig glaubhaft. Jetzt schlugen sie sogar mit Schwertern aufeinanderein. Michel blies leicht besorgt die Luft zwischen den Zähnen hindurch, doch Ritter Heinrich lachte leise auf.
    »Wenn die beiden sich nicht im Zaum halten können, müssen wir sie hinterher wieder zusammenflicken!«

XIV.
     
    B ei Anbruch der Nacht befand Xander sich auf dem Turm und spähte zum Lager der Feinde hinab. Tatsächlich war deutlich zu hören und im Schein des großen Feuers zu sehen, dass zwischen den Gegnern Hader und Streit ausgebrochen war. Der Hettenheimer schien nicht nachgeben, sondern die Otternburg einnehmen zu wollen, um an das Erbe seines toten Vetters zu kommen, doch ohne die Krieger des Kibitzsteiners war er zu schwach dazu. Ein Geräusch verriet ihm, dass Frau Hulda mit dem kleinen Falko die Treppe heraufkam. Sie hatte den Jungen den ganzen Tag nicht aus den Händen gegeben und hielt das weinende, sichtlich erschöpfte Kind wie ein Bündel Lumpen unter ihrem linken Arm. Mit dem rechten wies sie auf die Feuerstöße im Tal.
    »Es ist genau so gekommen, wie ich vorhergesagt habe. Der Feind streitet sich und einige kämpfen sogar miteinander. Gebe Gott, dass dieser Wirtsschwengel und der raffgierige Heinrich einander erschlagen.«
    Xander bleckte die Zähne, die im Licht der Fackeln wie Perlen aufleuchteten. »Das würde ich uns wünschen, Herrin.

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