Das Vermaechtnis des Caravaggio
über den Leib. Mit
jedem Pinselstrich nahmen die Finger mehr Gestalt an. Weich und weiß erschienen
sie, als könnten sie nur Buchseiten umblättern und nicht das Messer führen, und
schon gar nicht töten.
Nerina schloss die Augen. Sie
konnte es nicht verhindern, dass ihre Erinnerung sich für einen Moment die
Gefühle der letzten Nacht zurückholte, als diese Hände über ihren Körper
gewandert waren, als sie über ihre Brüste geglitten und ihre Scham betastet
hatten. Selbst als sie die Augen öffnete, stand vor ihr der Schatten, von dem
sie plötzlich noch etwas wahrnahm, von dem sie in der Nacht nichts gespürt
hatte, den Geruch. Michele hatte recht. Es war der Geruch des Johanniters, der
eigenartige Geruch nach Moschus und Weihrauch, der ihr urplötzlich in die Nase
stieg.
Um sich die düsteren Gedanken aus
dem Kopf zu schlagen, versuchte sie, Micheles Pinselwanderungen über das Bild
zu folgen. Für einen Außenstehenden, einen im Malen unerfahrenen Betrachter,
hätte seine Arbeitsweise sprunghaft gewirkt. Hier trug er einen Farbtupfer auf,
dort setzte er einen Strich, dann wandte er sich einem anderen Bildteil zu,
ergänzte ebenfalls zwei Punkte, drei, ging weiter, wischte seinen Pinsel
sauber, nahm eine weitere Farbe auf, kaum von der ersten zu unterscheiden, und
begann seine Rundreise erneut. So hatten die aufgetragenen Pigmente Zeit zu
trocknen, und verschiedene Farbschichten überlagerten sich, blieben
durchscheinend und transparent, erzeugten Tiefe und Leuchtkraft. Nuancen
schufen Übergänge, ließen Licht fluten und warfen Schatten. Und plötzlich fiel
Nerina ein Umstand auf, der ihr merkwürdig erschien. Allein das dritte Gesicht,
das Gesicht der Salomé, blieb noch konturlos. Während Michele an den beiden
anderen und an seinem eigenen Porträt arbeitete und alle drei vervollständigte,
kümmerte er sich um dieses nicht.
„Welches Gesicht wirst du der Salome
geben?“ Michele hielt kurz inne und drehte sich zu Nerina um, ohne auch nur ein
Wort zu sagen. Nerina verstand. „Oh. Das braucht keine weitere Ausführung. Ich
peinige dich also auch.“
Wütend durchquerte sie den Raum und
wollte eben die Tür hinter sich zuschlagen, als Michele meinte:
„Deine Züge wird sie niemals
tragen. Du bist eine Madonna, keine Dirne im Dienst der Mächtigen.“
Sie stutzte. Was sollte das wieder
bedeuten? Wenn er nicht sie malte, wen dann? Durfte sie ihn fragen und konnte
sie hoffen, eine Antwort darauf zu bekommen?
„Wen wirst du malen?“
Die Lippen fest zusammengepresst
wandte sich Michele wieder seiner Arbeit zu, und Nerina ahnte, dass er darauf
nicht antworten wollte.
„Wenn ich es nicht erfahren darf,
Michele, dann sag mir wenigstens, warum der Johanniter nach deinem Leben
trachtet, denn das tut er offensichtlich, und nicht nur nach deinem.“
„Dafür gibt es Hunderte von Gründen
und keinen!“
„Nenn mir zumindest einen!“
18.
„Es ist der Fluch!“ Fusco starrte
Enrico aus glasigen Augen an. „Habt Ihr noch nie vom Fluch gehört? Vom Fluch
des ...“
Der Rest ging in einem Hustenanfall
unter, bei dem Andrea Fusco feine Weintropfen über Tisch und Gesicht seines
Gegenübers verteilte. Angeekelt wischte sich Enrico ab, ließ es sich aber nicht
anmerken.
„Padrone! Noch einen Krug!“, rief
er zu dem Bauern hinüber und bemühte sich um eine fröhliche Miene.
Mit einem Grinsen quittierte Fusco
die Bestellung.
„Ihr lasst Euch nicht lumpen,
Enrico. So gefällt es mir.“
Ob es eine gute Idee gewesen war,
Andrea Fusco zu suchen und an den Tisch zu laden, konnte Enrico noch nicht abschätzen.
Dass es seinen Geldbeutel über Gebühr belastete, erfuhr er direkt. Julia hatte
ihm den Namen genannt. Der Maler, der auf der Piazza Navona kleine
Heiligenbilder feilbot und vorgab, Michele zu kennen und selbst beim letzten
Ballspiel anwesend gewesen zu sein, soff wie ein Eimer ohne Boden. Sie saßen allein
unter einer einzelnen Pinie, in deren Schatten ein grob behauener Tisch und
eine Bank Platz gefunden hatte.
„Was meint Ihr mit einem Fluch?“
„Madre mia!“ Fusco verdrehte die
Augen. „Ihr Mantuaner!“
Mehr war aus ihm nicht
herauszulocken. Wieder stierte er in seinen Becher und wartete, bis der Bauer
den frischen Krug gebracht hatte. Enrico legte für den Maler sichtbar ein
Geldstück auf den Tisch, das weiteren Nachschub gewährleistete, deckte es aber
sofort mit der Hand ab.
Sie hockten in der Nähe der
Aurelianischen Mauer im Süden Roms, dort wo sich am Hang des Aventins
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