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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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plötzlich an ihr vorbei, und dann in sich
hinein. Ihr war es, als würde Michele sein Innerstes betrachten und alles um
sich her vergessen. Dann kehrte er zurück in die Gegenwart, in sein Atelier,
und fuhr sich mit der Hand über die Augen, als müsse er einen bösen Traum
verscheuchen.
    Wortlos drehte er sich um und trat
ans Fenster. Hinter dem Vorhang kramte er das Bild hervor, das Nerina das
meiste Kopfzerbrechen bereitete, ‘Das Haupt des Johannes’. Vorsichtig stellte
er es auf eine Staffelei und schlug das Deckleinen zurück.
    Mit einem unguten Gefühl
betrachtete Nerina das Bild. Seit der Pater es gesehen hatte, war nichts
hinzugekommen.
    „Ich muss es beenden und einem
Freund mitgeben. Es muss uns schützen.“ Michele flüsterte, und Nerina fragte
sich, warum er dies tat.
    „Wer bedroht uns, Michele? Wer sind
all die Menschen, die sich an unsere Fersen heften und dich und mich bedrängen?“
Michele sah zu Boden, und Nerina gewann das Gefühl, als wolle er ihr etwas
mitteilen, doch dann entschied er sich dagegen.
    „Du würdest es nicht verstehen!“
    Micheles Antwort blieb knapp. Er holte
sich einen Schemel heran, auf dem er saß wie ein Reiter, und griff zu seiner
Palette. Aus kleinen Döschen schüttete er Pigmente auf eine Holztafel und goss
einige Tropfen Leinöl dazu, die er mit Honig und Ei geschmeidig machte. Das Ei schlug
er zuvor auf und trennte es. Er verwendete nur das Eigelb.
    „Du hast es noch nicht versucht.“
Nerina stand hinter ihm und sah ihm bei den Arbeiten zu. Sie hoffte darauf, dass
er weitersprach, dass er ihr endlich erzählte, wovor er seit Rom tatsächlich
floh. „Um Dich aus den Fängen des Weins zu befreien, bin ich gescheit genug. Um
Dich nach Hause zu schleppen auch. Um Dich vor den Pozzari zu schützen, genügen
meine bescheidenen Fähigkeiten.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften und trat
dicht hinter Michele. Sollte der Laffe in seiner männlichen Überheblichkeit
ruhig ins Schwitzen geraten. „Wenn es an Wein mangelt, geht der Herr nicht
selbst und holt sich einen Krug, er schickt mich. Dafür reicht mein Geist,
nicht?“
    Zögernd begann Michele zu sprechen.
Sie hörte ihm an, dass der Wein seine Zunge noch lähmte, aber ihm musste wohl bewusst
geworden sein, dass er eben das Falsche gesagt hatte.
    „Verzeih. Ich muss mich auf das
Bild konzentrieren. Ohne innere Versenkung gelingt mir nichts.“
    „Woher kennst du Pater Leonardus,
Michele? War er es, der uns letzte Nacht seine Schergen auf den Hals gehetzt
hat?“
    „Nein. Er nicht. Dazu ist er nicht
fähig, Nerina.“
    „Woher willst du das wissen?“
    „Dafür kenne ich ihn zu lange.“ Er
lachte bitter. „Wie eine Klette klebt er an meiner Spur und versucht, sich in
mein Leben einzumischen. Er zählt zu meinen Peinigern, die ich mir aufgeladen
habe wie ein Kreuz. Ich muss ihn, wie alle anderen, durch die Via dolorosa
meines Lebens schleppen.“
    Warum spricht er nur immer in
Rätseln, dachte sich Nerina, die mit der Antwort so wenig anfangen konnte wie
mit dem Wissen, dass sich die beiden Männer kannten.
    „Warum trachtet er dir nach dem
Leben?“
    „Wer? Pater Leonardus? Das tut er
nicht. Aber er möchte auch nicht, dass ich ihn vergesse. Überall, wo ich mich
aufhalte, taucht er auf. Er ist mein Schatten.“
    „Und der Johanniter gehört zu ihm!“
    „Ja, beinahe!“
    Es klang wie ein Stoßseufzer.
    Entschlossen schob er den Kopf
zwischen die Schultern und begann das Bild zu vervollständigen. Die
Gesichtszüge Pater Leonardus’ und des Johanniters schälten sich immer deutlicher
heraus. Mit einer Sicherheit, die Nerina immer wieder erstaunte, gewannen die
Gesichtszüge mit wenigen Farbstrichen an Kontur und Form. Gewalttätige
Gesichter schuf er, Gesichter ohne jede Freude, ohne Lachen. Dann entdeckte
Nerina, dass er dem Soldaten, der Johannes den Kopf vom Rumpf getrennt hatte,
Hände malte, Hände, die den Schopf des Johannes gepackt hielten, aber keine
Hände, die denen eines Scharfrichters glichen, sondern zarte Hände mit langen,
feinen Fingern, wie Adelige sie pflegten. Die Nagelhaut war entfernt, die
Fingernägel gesäubert, die Finger- und Handballen ohne Schwielen. Solche Finger
konnten unmöglich von einem Mann stammen, der ein Schwert führte. Dessen Hände hätten
kräftiger sein, hätten dickere Finger, Schwielen, Narben tragen müssen. Ihr
dämmerte langsam, woher sie diese Hände kannte. Gesehen hatte sie die Hände
nicht, aber an ihrem Körper gefühlt. Ihr lief ein Schauer

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