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Das Vermaechtnis des Caravaggio

Das Vermaechtnis des Caravaggio

Titel: Das Vermaechtnis des Caravaggio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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sie Schläge aus, die auf die
Hände und Köpfe der Männer klatschten, die versuchten, nach ihren Beinen zu
grapschen. Endlich hatte sie Michele so weit, dass er neben ihr stand. Mit
einem stieren Blick starrte er sie an und schien nicht ganz zu begreifen, was
geschah. Mit geübten Griffen durchsuchte sie seine Taschen und den Lederbeutel,
den er umhängen hatte. Michele ließ sich die letzten Geldstücke aus dem Wams
nehmen. Viel war es nicht mehr, was von dem stolzen Preis für ein noch nicht
einmal begonnenes Bild übrig geblieben war, aber es würde einige Wochen
herhalten, wenn sie sparsam damit umging.
    „Kommst du mit?“, herrschte sie ihn
an, aber Michele war nicht mehr in der Lage, ihr zu antworten. Sie packte ihn wieder
am Wams und zog ihn wortlos hinter sich her durch den Raum. Die Männer grölten.
Sofort reimte man Spottverse auf den Maler und seine Dirne, die Michele
sicherlich in einem weniger betrunkenen Zustand zur Raserei getrieben hätten,
jetzt aber kalt ließen. Endlich stolperten sie über die Türschwelle und in die
Nacht hinaus. Frische Luft und Meereskühle im Hafenviertel bewirkten, dass
Michele langsam in sich zusammensackte. Nerina schob sich unter eine Achsel und
schleppte ihn schnaufend die Gasse hoch in Richtung Atelier. Nero, der vor der
Tür gewartet hatte, sprang auf, schnupperte an Micheles Beinen und trottete mit
gesenktem Kopf und angelegten Ohren neben ihnen her. Je länger sie gingen,
desto besser fasste Michele Tritt. Nerina wunderte sich, wie schnell er sich
erholte. Als sie in die Gasse einbogen, in der ihr Atelier lag, lief Michele
bereits wieder selbst. Sie musste ihn nur noch lenken.
    Schwer lag die mondlose Dunkelheit
über der Gasse. Von überall her drangen Geräusche an ihre Ohren, die Nerina
nicht einzuordnen vermochte. Menschen schienen ihnen zu folgen oder
auszuweichen. Schlurfende Schritte, huschendes Schleifen und das rollende
Knurren aus Neros Kehle wechselten sich ab. Die Bassi, die Bewohner der
untersten Wohnhöhlen, die auch tagsüber kaum Licht und Sonne sahen, schienen
sich gerade in der Nacht zu regen.
    Am Eingang zu ihrer Straßenschlucht
mussten sie an einem der uralten Ziehbrunnen vorüber, die das Wasser aus dem
Untergrund Neapels holten. Nerina hatte das unbestimmte Gefühl, als hätte sich
eben noch ein Kopf über den Brunnenrand gestreckt und sofort wieder
zurückgezogen. Ängstlich schob sie Michele weiter. Zu viele unheimliche
Geschichten hatte sie schon über die Pozzari, die Bewohner dieser
Brunnenanlagen gehört. Die unterirdischen Zisternen und Zuläufe bildeten eine
eigene Welt. Eine ganz andere Stadt mit anderen Bewohnern hatte sich im Laufe
der Zeit unter Neapel gebildet. Geschöpfe, die das Licht der Sonne nie sahen,
die unermüdlich die Wasserzuläufe in der Tiefe säuberten, die für das
Funktionieren der Zu- und Abwässer zuständig waren – und die sich nachts ihren
kargen Lebensunterhalt damit aufbesserten, dass sie aus der Tiefe hervorkrochen
und Nachtschwärmer überfielen. Aus den Brunnenschächten sollten sie
heraufsteigen, unerwartet und leise, bleiche Gestalten, eher Gespenstern
ähnlich als Menschen, und mit unerbittlicher Härte ihren Lohn fordern, um
ebenso schnell wieder in der Tiefe zu verschwinden. Niemand wagte es, ihnen
hinunter in die ewige Dunkelheit zu folgen.
    Die Geräusche verstärkten sich.
Neros Knurren wechselte in ein heiseres Bellen. Tatsächlich erkannte Nerina,
als sie sich umdrehte, Schatten, die sich wie dunkles Wasser aus dem Brunnen
ergossen. Pozzari durchschoss es sie, und sie zerrte Michele weiter in die
Dunkelheit der überkragenden Häuserfassaden. Aber es war, als könnten die
Schattenmenschen in der Nacht sehen wie andere Menschen bei Sonnenlicht. Rasch
hatten sie Michele und sie selbst umstellt, und bevor Nerina noch den Mund zu
einem Schrei öffnen konnte, schlug ihr ein nasser Lappen gegen die Lippen, sodass
ihr Ruf erstickte. Dann tasteten sie Hände ab. Eisige Finger wühlten in ihren
Taschen, in ihren Kleidern und Falten. Die Pozzari unterhielten sich in einem
knurrenden, brummenden Dialekt, den Nerina nicht verstand. Die einzige Sprache,
die sie nicht überhören konnte, war die der Messerklinge, die ihr einer der
Schatten an die Kehle hielt.
    Harte Finger hatte sie erwartet,
die ihren Körper abgriffen, Finger, die vom Stein rau und von der Arbeit
verhärtet, sich am Tuff der Tiefe festhalten mussten, schwielig und grob. Umso
überraschter war Nerina, als weiche und gepflegte Hände ihr

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